Der IWF bleibt Gefangener seiner eigenen Politik

■ Milliardenkredite sind versickert – doch trotzdem dürfen Zahlungen an Rußland weitergehen

Im Westen nichts Neues: Auch gestern waren sich Kanzler Kohl und seine westeuropäischen Kollegen einig, daß Rußland den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) folgen muß. Der Finanz- und Währungskommissar der Europäischen Union, Thibault de Silguy, gesellte sich zu der Reihe der Forderer, unterbreitete der russischen Regierung jedoch auch ein EU-Hilfsangebot. Noch am Wochenende hatte KP-Chef Sjuganow gefordert, die IWF-Kreditvereinbarungen zu ändern.

Wie genau die europäische Hilfe aussehen soll, wußte in Brüssel gestern allerdings niemand zu sagen. Der Rat der elf am Euro teilnehmenden Länder soll zusammenkommen. Außerdem wird die EU-Kommission am Donnerstag beraten. Bis dahin gilt, daß Rußland die mit dem IWF ausgehandelten Auflagen für die Milliardenkredite weiter verfolgen soll.

Erst am 20. Juli dieses Jahres hatte der IWF mit der russischen Regierung die Grundlagen für einen zweiten Milliardenkredit ausgehandelt. In zwei Tranchen wollte der Fonds noch in diesem Jahr 11,2 Milliarden Dollar an das schon damals darniederliegende Riesenreich auszahlen. Zwei weitere Tranchen über vergleichsweise bescheidene 670 Millionen Dollar warteten im Juli auf die Auszahlung. Das Geld stammte noch aus den ersten Kreditvereinbarungen, bei denen Rußland schon einmal über 14 Milliarden Dollar gezahlt worden waren. „Wenn Rußland in der Spur bleibt, bekommt das Land 12,5 Milliarden Dollar in 1998“, hatte Stanley Fischer, stellvertretender IWF-Chef, noch am 13. Juli stolz angekündigt.

„In der Spur bleiben“ heißt beim IWF, die Staatsverschuldung herunterzuschrauben, das Steuersystem zu reformieren und die Ausgaben zu kontrollieren. Das mahnen die westlich-kapitalistisch geprägten Berater des IWF seit Jahren an. Das wäre auch sinnvoll, denn allein das russische Steuersystem kennt über 200 verschiedene Arten von Steuern, die sich gar teilweise widersprechen. Doch was tun, wenn Bürger jeglicher Einkommensklasse ihre Steuern gar nicht erst bezahlen?

Ebenso beklagten die IWF-Berater ein „unzureichendes Budgetmanagement“, das auf gar zu optimistischen Zahlen beruhte. Mehr als eine bessere Buchführung zu fordern fiel den Fondsverwaltern jedoch nicht ein. Und auch die kurzfristigen Schuldverschreibungen der russischen Banken, die vor zwei Wochen zum Finanzkollaps führten, waren den IWF-Rechnern schon seit längerem aufgefallen. Sie verlangten seit dem Frühjahr, daß die GKO genannten Schuldtitel in langfristige Dollar-Anleihen umgewandelt werden. Eine Forderung, die nach dem Zusammenbruch in der vergangenen Woche umgesetzt werden mußte.

Die vom IWF geforderten weitreichenden Strukturreformen sind in Rußland jedoch ausgeblieben. Die letzte Geldspritze des IWF von über vier Milliarden Dollar versickerte in den durch die Schuldverschreibungen aufgerissenen Löchern. Dennoch wird der IWF wohl im September die nächste Tranche von 4,8 Milliarden Dollar an Rußland auszahlen. „Der IWF ist ein Gefangener seiner eigenen Politik“, sagt Rolf Langhammer, Professor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Da der Fonds Rußland schon in der Vergangenheit „großzügiger“ bedacht habe, komme er nun nicht umhin, die Zahlungsbilanz weiter zu stabilisieren. „Der IWF hat den Transformationsprozeß vorfinanziert“, sagt Langhammer. Der jedoch ist anders als in anderen ehemals planwirtschaftlichen Ländern noch gar nicht recht angerollt. Ulrike Fokken