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„Markenzeichen der Inneren Sicherheit“

■ Wahlkampf in Bremen: Innenminister Manfred Kanther (CDU) warnt in Vegesack vor den „Rot-Grün-Besessenen“/ Parteifreund Borttscheller erntet Lorbeeren fürs „Zupacken“

Innere Sicherheit. Der Ordner ist freundlich, aber bestimmt: „Ihre Tasche, bitte.“ Mit routinierten Händen durchsucht der Mann den Lederbeutel. „Danke, entschuldigen Sie bitte, aber Sie wissen ja, sicher ist sicher“, sagt er und gibt die Tasche zurück. Die Menschen, die am Montag abend an den weißgedeckten Tischen im großen Saal des Vegesacker Hotels „Strandlust“ sitzen und auf Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warten, sind fast durchweg über 50 Jahre alt. Ob sie sich fürchten? Sie tun es – zumindest statistisch gesehen. Untersuchungen zufolge haben ältere Menschen die meiste Angst, Opfer einer Straftat zu werden. In der Realität trifft es meistens die Jüngeren.

Auf den gestärkten Tischdecken steckt ein Arrangement aus je einer Rose und zwei CDU-Fähnchen in weißen Porzelan-Vasen. Die junge Frau am Nebentisch ist in ein Buch vertieft. „Ich bin der Herr dein Arzt. Worte des Trostes für Kranke, Betrübte und Notleidende.“ Ein weißhaariger Herr blättert in einem Prospekt mit dem Konterfei von Spitzenkandidat Bernd Neumann. „Sicher in die Welt von morgen“, heißt es dort. Und: „Wir Deutschen haben viel erreicht, und wir haben Grund, darauf stolz zu sein.“

Ein Pulk von Sicherheitsleuten geleitet Kanther in den Saal. Einen Moment lang bleibt der Minister an der Tür stehen. Der Applaus klingt brav, fast diszipliniert, ein einsames CDU-Fähnchen wird geschwenkt. Als Kanther neben der Bremer CDU-Polit-Prominenz auf dem Podium Platz nimmt, baut sich ein paar Meter neben der Tribüne ein Bodyguard auf. Breitbeinig und mit verschränkten Armen steht er da und lauscht den Worten von CDU-Landeschef Bernd Neumann, der Kanther, als „Markenzeichen für Innere Sicherheit“ ankündigt. Doch die Innere Sicherheit ist für Kanther zunächst kein Thema. Er spricht lieber über Deutschland: „Das ist doch ein blühendes Land mit vielfältigem Erfolg und nicht das Jammertal, das uns die Sozialdemokraten verkaufen wollen ... Wir sind wieder Nummer eins in der weltweiten Patentbilanz, und wir machen langsame Fortschritte bei der Beschäftigung ... Wir können im schönen Wetter leben, aber wir können es nicht zum Nulltarif machen.“

Nach einem Ausflug ins vereinte Europa, „in dem der einzelne Vorteile haben wird, weil er zum Beispiel kein Geld mehr hin- und zurücktauschen muß, wenn er Urlaub in Spanien oder Italien machen will“, zeichnet Kanther das düstere Bild einer möglichen rot-grünen Koalition. „Grüne Verweigungshaltung wird dann Regierungspolitik“, mahnt er. Zigarettenqualm hängt in der Luft. Kein Stuhlrücken, kein Zwischenruf, kein unruhiges Gemurmel stört die Rede des Innenministers. Die Sozialdemokraten würden „keinen Moment zögern“ ihre Koalition mit der PDS „nach links zu erweitern“, warnt Kanther. Die SPD wolle „Kommunisten hoffähig“ machen. Und das sei „in einer Zeit, in der die Prozesse der Mauerschützen noch nicht abgeschlossen“ seien, der „Höhepunkt der Geschmacklosigkeit“.

Endlich kommt Kanther auf die innere Sicherheit zu sprechen: „Mit 6,5 Millionen Straftaten können wir keinen Frieden machen.“ Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU) sei ein Beispiel dafür, wie „jemand die Sache anpackt“. „Er hat mich angerufen und hat gesagt, ich kann das nicht mehr ertragen, daß jedes Silvester-Fest die Bremer Innenstadt demoliert wird von immer der gleichen Gruppe Struppies. Was können wir tun, können Sie mir den Bundesgrenzschutz an meine Seite stellen.“ Ein Anruf habe genügt, um „das zu vereinbaren“. „Warum bin ich nicht drei oder fünf Jahre vorher angerufen worden“, will Kanther wissen. Das Publikum antwortet mit Applaus. Sichtlich geschmeichelt nickt Borttscheller vom Podium. Um Kriminalität zu verhindern, müßten „jungen Leute“ wieder lernen, daß „es Grenzen gibt, die im Interesse des Gemeinwohls eingehalten werden müssen.“ Deshalb sei auch der Vorschlag der Landesregierung Schleswig Holsteins, „Drogen in Apotheken zu verkaufen“, eine Idee von „Rot-Grün Besessenen“.

Die Gleichung, Ausländer gleich Kriminelle, wolle er nicht aufstellen, betont Kanther. Aber 60 Prozent aller Straftaten der Organisierten Kriminalität würden von Ausländern aus 100 Ländern begangen werden. Eine Zahl, die beeindruckend klingt, aber durch eine Nachfrage beim Innenministerium relativiert wird: 1997 hat das Innenministerium rund 1,1 Millionen deutsche Tatverdächtige ab 21 Jahren registriert, 477.106 waren „Nichtdeutsche“. Doch nicht etwa organisierte Kriminalität, sondern Straftaten gegen das Ausländergesetz (180.977) werden ihnen am häufigsten vorgeworfen.

„Mit Ausländerkriminalität machen wir unseren Frieden nicht, nur weil ein paar Linke dieses Thema als unsagbar ausgerufen haben“, ruft Kanther der klatschenden Menge zu. „Denn andernfalls brodelt es im Topf, und die Rechtsextremen rühren in einer trüben Suppe, die sich aus Ausländerfeindlichkeit und kriminellen Problemen in unserem Land zurechtbrauen.“

Kerstin Schneider

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