Avancen Von Reinhard Krause

In jungen Jahren interessierten sich bemerkenswerte Frauen für mich. Zum Beispiel Ulrike. Im Schulsport tat sich Ulrike dadurch hervor, daß sie die Schlagbälle keinesfalls in Richtung Turnlehrerin warf, sondern stracks nach hinten. Wenn die Lehrerin sich einmal dazu herabgelassen hätte, die Weite dieser Würfe nachzumessen, hätte sie sich überzeugen können, daß Ulrike rücklings deutlich bessere Ergebnisse erzielte als nach vorne. Sie hätte Ulrike den Tip geben können, sich beim Werfen einfach umzudrehen. Mochten andere Ulrike für etwas dösig halten, ich fand ihr unausgereifte Technik lustig.

Offenbar blieb dieser Mangel an Antipathie nicht unbemerkt. Eine Tages überrumpelte mich Ulrike auf dem Heimweg mit der bestürzenden Frage: „Du, Reinhard, heiratest du mich denn, wenn du groß bist?“ Was für eine absolut indiskrete Frage, schoß mir – wenn auch sicher in anderen Worten – durch den Kopf. „Mein liebes Kind“, hätte ich antworten sollen, „ich bin acht und du bist neun. Was soll ich mir denn darüber jetzt schon den Kopf zerbrechen, bitte schön?“ Aber ich besaß schon damals einen Hang zur Diplomatie, rang nach Luft und sagte dann: „Das weiß ich noch nicht – vielleicht finde ich ja noch ein anderes Mädchen, das so ist wie du.“ Wahrscheinlich war ihr nach dieser Antwort genauso übel wie mir.

Ein ganzes Jahrzehnt blieb ich danach unbehelligt, dann kam der Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt. Hier trat Miss Travolta in mein Leben. Ihren Namen trug sie natürlich noch aus den wilden Zeiten von Saturday Night Fever. Mit ihrer runden Nickelbrille und ihrer Vornekurzhintenlangfrisur sah sie aus wie die weibliche Ausgabe von Klaus Lage, der allerdings war damals noch gänzlich unbekannt. Miss Travolta hegte eine Leidenschaft für rauchiges Singen, noch bemerkenswerter waren jedoch ihre intimen Kenntnisse der High-Society, von der sie reizend zu plaudern verstand. Einmal kam sie mit rotgeweinten Augen auf mich zu. „Gestern war ich auf der Beerdigung von Peter Sellers. Es war so traurig! Aber alle waren da, der Peter Ustinov, die Ursula Andress, Woody Allen – alle!“

Ein paar Wochen später ging es zur Sommerfrische in den Bayerischen Wald. Zum Glück fuhr auch Miss Travolta mit und versorgte mich mit Neuigkeiten aus der großen Welt. Eines Morgens stand sie an meinem Frühstückstisch, schäkerte ein Weilchen mit mir und hielt mir schließlich einen Aluminiumring hin: „Hier, mein Schatz, der ist für dich, den mußt du jetzt immer tragen!“ Prima, klasse, danke! Ein wenig stramm saß er ja, aber egal. Würdevoll strahlend schritt die Travolta von dannen. Kaum war sie wieder an ihrem Tisch angekommen, setzte sich ihre beste Freundin in Bewegung und schlurfte zu mir herüber. Vielsagend starrte sie mich an, streckte ihre Hand aus und sagte feierlich: „Härzlichen Glüückwuunsch!“ Ja, wozu das denn? „Fa-falobt!“, sagte sie und trottete wieder los. Im Hintergrund warf Miss Travolta verliebte Kußhändchen.

Ganz wohl war mir nicht, als ich ihr drucksend den Ring zurückgab. Wie würde Miss Travolta diese Demütigung verkraften? Pah, die war in ihrem Element: „Schätzchen, das ist doch nicht schlimm. Ich war schon fünfmal verheiratet. Die Ehen gehen ja alle in die Brüche heutzutage.“