Von Kleinlüge zu Kleinlüge

Ist Schaffhausen bloß eine Illusion? Die Aeronauten haben in Hamburg eine Platte gemacht, die „Honolulu“ heißt, und sind doch eine recht schweizerische Band  ■ Von Thomas Winkler

Olifr Maurmann ist ein schwerer Mann, der eine unsichere Gemütlichkeit ausstrahlt. Oft reibt er seine großen Hände aneinander. Nie antwortet er schnell, immer läßt er sich Zeit. Oft sagt er „ääh“, noch öfter sagt er „aber“. Sehr schweizerisch, denkt man. „Sozial immer noch brauchbar“ sei er, sagt er und gibt zu, „schon nicht ganz alle Tassen im Schrank“ zu haben. Das wiederum, denkt man sich, ist nun gar nicht so schweizerisch.

Maurmann lebt in Schaffhausen, das, glaubt man einem seiner Texte, nur „eine Illusion“ ist. Maurmann hat auch geschrieben: „Die einen fahr'n auf der Autobahn zur Hölle, und ich geh' zu Fuß.“ Das mag pathetisch klingen, aber man glaubt es ihm. Wenn Maurmann seine Texte nicht unter dem Namen Guz im Low-Fi-Approach herausbringt, werden sie vertont von seiner Band, die Die Aeronauten heißt. Die haben dieser Tage ihre vierte Platte namens „Honolulu“ herausgebracht. Auch darauf singt Maurmann seine Texte. Er tut das ungefähr so, wie er auch spricht: sehr bedächtig, sehr vorsichtig, als wäre er sich seiner Sache nicht gewiß. Als müßte er die Worte notfalls noch einmal zurücknehmen können. Man könnte auch sagen, Maurmann hat ein zähes Timbre, zäh wie Käsefondue.

Immer spricht Maurmann von einem Du, von einem Ihr, aber meist meint er damit Ich und Wir. Das kann man sich nicht nur denken, das kann man auch seiner Stimme anhören, die fast Betroffenheit ausstrahlt, so etwas wie Erschrecken über die eigene Erkenntnis. „Autobiographisch sind die Texte immer“, sagt Maurmann, „aber ich habe eine andere Geschichte daraus gemacht.“ Er sagt auch noch: „Wenn du einfach dein echtes Leben erzählen würdest, das wäre ja langweilig.“ Möglicherweise, möchte man einwerfen, hängt das ja vom jeweiligen Leben ab. Möglicherweise aber ist das doch eher eine Frage des Selbstbewußtseins.

Der grundsätzlichste Song, den Maurmann bisher geschrieben hat, sein „My Generation“, sein „Highway 61 Revisited“, heißt „Countrymusik“. Es ist vielleicht nicht das cleverste Lied, das bisher über seine Generation geschrieben wurde, aber doch eines der entlarvendsten. Seine Generation ist die der Anfang 30jährigen, die aufgewachsen sind mit den Poptheorien von Gang of Four oder Scritti Politti. Mit Punk und Grunge hat man mindestens anderthalb böse gescheiterte Revolutionen hinter sich. „Wir reden in unser Handy und hoffen, daß uns niemand dabei sieht“, singt Maurmann in diesem Song, und weiter: „Wir erinnern uns noch gern daran, als die Bösen noch böse war'n, man brauchte nur auf die andere Seite zu geh'n, damit man zu den Guten kam. Jetzt seh'n sie alle nur noch wie Idioten aus und hör'n nicht auf, sich zu blamieren. Mit dem Alter fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren.“ An der Wand hängt die Karte vom letzten Johnny-Cash- Konzert, das man in schönster Erinnerung hat. Teuer war sie, die Karte. Hat es sich gelohnt?

Resignation aber, sagt Maurmann, wäre das nicht. „Resignation“, sagt Maurmann, „ist es, wenn man aufhört, sich für Sachen zu interessieren, die eigentlich gar nicht wichtig sind, die das Leben ausmachen.“ So was wie Countrymusik halt. Die Geschichten, die Maurmann erzählt, sind meist „eine Überspitzung von etwas, was wirklich ist“. Es sind überaus genaue, immer liebevolle, aber jederzeit auch böse Alltagsbeschreibungen einer Generation, die sich von Kleinlüge zu Kleinlüge hangelt, an Beziehungsunfähigkeit leidet oder über das zweite Kind nachdenkt.

Die Aeronauten verschaffen dieser Resignation, die doch keine sein will, große, atmosphärische, breite Momente voller instrumentaler Klarheit. Noch deutlicher kann man das hören bei ihren Instrumentals, die nicht ganz zufällig an epische Filme erinnern. Morricone, sagt Roman Bergamin, der Trompete und Posaune spielt, sei doch „ein sehr beeindruckender Komponist“ gewesen. Da spreche er durchaus für alle Aeronauten.

Das Wichtigste an Musik sei, so Maurmann, „daß mir jemand eine Geschichte erzählt, und bei Musik muß das nicht unbedingt über Texte passieren“. Aber vielleicht ist die Musik der Aeronauten nur so filmisch, weil sie unabhängig vom tatsächlich meßbaren Tempo immer sehr gemächlich wirkt, „vielleicht gibt es eine Grundidee in uns“, sagt Bergamin, als er sich an die punkigen Anfangszeiten der Band erinnert, „die Langsamkeit zu suchen“. Es stimme schon, pflichtet die andere Hälfte der Bläsersektion, Saxophonist Roger Greipl, bei, „in der Schweiz ist alles ein bißchen ruhiger“.

In Hamburg andererseits, dort, wo sie „Honolulu“ aufgenommen haben, erzählt Bergamin, ginge schon mal der Witz um, ausgerechnet die Aeronauten seien „die letzte echte Hamburger-Schule- Band“. Die Frage ist, ob es eine letzte Band braucht. Aber wenn es so ist, könnte man sich unpassendere Kandidaten vorstellen als die Aeronauten. Aber trotzdem: Eigentlich sind sie doch ziemlich schweizerisch.

Die Aeronauten: „Honolulu“ (L'Age D'Or/ RTD)

Live: 17.9. Schorndorf, 18.9. Wiesbaden, 19.9. Hannover, 20.9. Hamburg, 21.9. Berlin, 22.9. Kassel, 23.9. Heidelberg, 24.9. Düsseldorf, 25.9. Dortmund, 26.9. Saarbrücken, 14.10. München, 17.10. Nürnberg, 19.10. Frankfurt, 20.10. Jena, 21.10. Dresden, 22.10. Fulda, 23.10. Köln, 24.10. Oberhausen, 25.10. Freiburg