Morgen lacht uns wieder das Glück

■ Kleinbürgerlicher Mief, große Utopie: Zwickel auf Bizyckel nach 20 Jahren im 3001

Frankfurt 1968. Ein paar Film-Studenten aus Ulm beziehen ein Haus im chic-revolutionären Stadtteil West-End. Zusammen gründet man eine Film-Firma, versteht sich als Regie-Kollektiv und dreht munter drauf los. Thema: das kleinbürgerliche Leben der späten 60er Jahre und das „revolutionäre Subjekt“. Alle Schauspieler sind Amateure und erfinden für 15 Mark pro Tag ihre Charaktere selbst. Zwei Jahre und Unmengen von Filmmaterial später ist der Elan der Gruppe dahin, und die „Eppelwoi Motion Pictures“ sind pleite. Die gemeinschaftliche Utopie endet im gesellschaftlichen Alptraum.

Was an sich schon einen filmwürdigen Stoff abgeben würde, ist nur die Vorgeschichte zu dem damals gedrehten Film, der jetzt endlich unter seinem vertrackten Arbeitstitel Zwickel auf Bizyckel ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde. Die späten Bemühungen der damaligen Kollektivisten Reinhard Kahn und Michel Leiner haben sich jedoch gelohnt. Denn Zwickel auf Bizyckel ist nicht nur so kunstvoll und skurril wie sein Name, er ist tatsächlich noch lustiger, als es seine wirre Entstehung vermuten ließe.

Parallel werden die Geschichten von drei jungen Menschen erzählt, die auf dem scheinbar gesicherten Weg in einer bürgerlichen Existenz ins Straucheln geraten. So soll Doris als Kindergärtnerin ein Vierjähriges zu seinen Eltern nach Afrika bringen. Leider geht das Gör auf der Schiffsreise über Bord und ertrinkt. Doris verliert ihren Job und findet sich als Softeisverkäuferin in einem Kaufhaus wieder. Oder Robert. Der junge Hilfsarbeiter leidet daran, daß er schielt wie Clarence, der Löwe aus der damaligen Fernsehserie Daktari. Eine Augenoperation soll ihm mehr Selbstvertrauen geben. Das klappt auch. Robert läßt sich von Lieselotte scheiden, die als Barfrau von einer Stripperinnen-Karriere in Düsseldorf träumt, und erwürgt danach den Dackel seiner reichen Cousine. Aus dem Knast entlassen, landet Robert bei einem schwulen Wäschereibesitzer und endet als Ober in einem Bahnhofsrestaurant. Aus dem Off ertönt dazu immer wieder Schlagerschmalz: „Morgen lacht uns wieder das Glück.“

Die Durchgedrehtheit der Handlung und der wirklich hohe Unterhaltungswert von Zwickel auf Bizyckel steht glücklicherweise immer im strengen Kontrast zur ruhigen Schwarz-weiß-Fotografie und den teilweise minutenlangen Einstellungen. In denen wird dann auch die Grenze zum Dokumentarischen überschritten. Wenn sich nämlich der kleinbürgerliche Mief von damals in der ungeschönten Requisite wiederfindet, sich die Akteure mangels eines Drehbuchs aus dem Fundus der eigenen Alltagsthemen bedienen. Die Männerrunde reißt eine Zote, und Doris diskutiert mit ihrer Freundin minutenlang die Vorzüge von Elektro- und Gasherden. Spätestens da weiß man, warum damals solche Filme gedreht wurden.

Michael Hess

Do, 3. bis Mi, 9. September, 20.30 Uhr, 3001