■ Vorschlag
: Der Dichter und seine Häuser: Fotos zur Thomas-Bernhard-Einschärfung

Hinter seiner Haustür hatte er einen Totschläger hängen. Man kann ja nie wissen. Thomas Bernhard lebte in einem Gefühl ständiger Bedrohung. Nachdem er dann berühmt geworden war, mußte er all die Schaulustigen ertragen, die nach Ohlsdorf pilgerten, um dort seinen „Vierkanthof“ Obernathal zu betrachten und vielleicht, vielleicht auch einen kurzen Blick auf den heimathaßliebenden Dichter zu erhaschen. So sind sie, die Österreicher. Bernhard zog dann die Vorhänge vor, verriegelte das Hoftor, fühlte sich wie ein Gefangener und verfluchte das ganz und gar unerträgliche „Dichterschauen“.

Eine Fotoausstellung im Haus des Deutschen Bundestages Unter den Linden gibt nun auf neutralem Staatsboden recht intime Einblicke in die Innenausstattung von Bernhards „Arbeitskerker“ oder „Selbstgesprächsgefängnis“. Die Fotografin Erika Schmied war lange mit Bernhard befreundet und über 25 Jahre Nachbarin im oberösterreichischen Obernathal. Sie ist eine der wenigen Frauen, die Bernhard überhaupt in seiner Nähe duldete. Ihre Bilder entstanden zu einem guten Teil in frühen Jahren, als Bernhard noch kein Prominenter war, und zeigen ihn alltäglich, jenseits aller Selbststilisierung: Bernhard mit Lederhose, der sich in der Hängematte rekelt, Bernhard grinsend, mit Einheimischen auf einer Bank, Bernhard mit hängender Zunge bei seinem Lieblingskartenspiel Siebzehnundvier, oder Bernhard halb nackt auf einer Wiese, sich an der besockten Wade kratzend. Unter diesem Bild steht der etwas rätselhafte Text: „Bernhard mähte manchmal seine Wiesen selbst mit der Sense.“

Erika Schmieds Fotos bleiben unauffällig und wie selbstverständlich in der Nähe des scheuen Schriftstellers. Sie dokumentieren seine fortschreitende Sehnsucht nach Naturnähe oder vielmehr Zivilisationsflucht und seinen immer stärkeren Wunsch, sich zu verwandeln: nicht Dichter, sondern Bauer zu sein. In seinem Paß – so berichtete bei der Ausstellungseröffnung der Bernhard-Freund Wieland Schmied – habe er als Berufsbezeichnung „Landwirt“ eintragen lassen. Seinen eigenen Traktor versah er – wie in dieser Weltgegend üblich – mit einem Namensschild. Und doch wußte er, daß zwei Kühe und eine speckige, dreckige Latzhose aus einem Städter noch lange keinen Bauern machen. Bernhard blieb auf dem Land so fremd und einsam, wie er es auch in der Stadt war. Er wollte es nicht anders: „Ich möchte meine Studien nur noch in mir selbst betreiben.“

Bernhard besaß drei alte Bauernhäuser, die seinen immer dringlicheren Rückzug aus der Gesellschaft bezeugen. Er erwarb die Häuser stets ohne eigene Mittel, verstand es aber, den Banken listig Kredite zu entlocken. Außerdem brauchte er den Druck der Schulden, um sich kontinuierlich zum Schreiben zu zwingen. Neue Stücke und Bücher waren der einzige Weg, sich aus der Verschuldung zu befreien. Alte Häuser mußten es sein, voller Spuren und Geschichte. Der Vierkanthof in Obernathal geht in seinen ältesten Teilen bis ins Jahr 1325 zurück. Nur so, eingebunden in Tradition und gelebtes Leben, schien Bernhard das eigene Dasein erträglich.

Erika Schmieds Fotos dokumentieren die Innenräume der Häuser meist in einer Spätphase. Denn, wie Wieland Schmidt berichtete, veränderte die Einrichtung sich ständig. Waren sie anfangs noch möglichst grob und bäuerlich möbliert, verfeinerte sich das Interieur immer mehr, wurde filigraner, städtischer, moderner. Bernhard suchte eine stilistische Perfektion, die er aber, war sie einmal erreicht, nicht mehr ertragen konnte. So scheint er auch ein sehr ordentlicher Mensch gewesen zu sein: Die Bücher sind sauber gereiht im Regal, die Schuhe nach Größe geordnet vor der Garderobe, Hüte und Mäntel für jedes Wetter griffbereit.

Die Ausstellung von Erika Schmied eröffnet einen ganzen Bernhard-Monat in Berlin, eine Veranstaltungsreihe, die unter dem Titel „Thomas Bernhard – eine Einschärfung“ steht. Die privaten, entspannten, genußfreudigen Bernhard-Bilder Erika Schmieds könnten zwar den Eindruck hinterlassen, es gehe eher um eine Ent-Schärfung, aber das, so Wieland Schmied, sei nur die notwendige Kehrseite dieses bohrenden, zersetzenden Geistes. Initiiert wurde das Bernhard-Großereignis von Ulrich Schreiber von der Peter-Weiss- Stiftung. Im Mittelpunkt steht ein internationaler Bernhard-Kongreß gewaltigen Ausmaßes, der vom 16. bis 20. September im Literaturhaus stattfinden wird. Hier soll vor allem die internationale Bernhard-Rezeption untersucht werden und so die Verengung auf Österreichhaß und „Nestbeschmutzung“ aufgebrochen werden. Schließlich erschien im Februar 1989 in Madrid ein Nachruf, in dem Bernhard als wichtigster realistischer Schriftsteller Spaniens bezeichnet wurde.

Im Literaturhaus werden zudem ab 6.9. Bernhard-Porträts von Sepp Dreisinger zu sehen sein. Vielversprechend auch eine Filmreihe, die das Kino Arsenal organisiert hat. Hier werden Dokumentarfilme über Bernhard (etwa Krista Fleischmanns „Eine Erinnerung“ am 19. und 20.9.) gezeigt und Filme, zu denen er das Drehbuch schrieb (“Der Kulturer“, 5. und 6.9., und „Der Italiener“ am 12. und 13.9.). Weitere Termine im Tagesprogramm. Jörg Magenau