Eine Redaktion gegen die Wirklichkeit

Wie eine Handvoll Journalisten, die eigentlich nur ihre Zeitschrift über kreative Jungunternehmer machen wollten, nun selbst als solche zurechtkommen und dabei allen Gesetzen der Medienbranche trotzen wollen  ■ Von Lutz Meier

Der Geist der Auflehnung gegen die Wirklichkeit kam am Abend des 21. Juli 1998, und er hatte nur einen kurzen Weg über eine Straße. Es begann damit, daß Gabriele Fischer, die seit kurzem das Magazin Econy führte, in das Büro von Karl-Dietrich Seikel, dem Manager des Spiegel-Verlages, auf der anderen Seite der Hamburger Ost-West-Straße gebeten wurde.

Das Gespräch war klar im Ton und schnell beendet. Der Verlagschef teilte der Chefredakteurin mit, die erste Ausgabe ihres Heftes habe sich an den Kiosken nicht mit 60.000 Exemplaren verkauft, wie zuvor behauptet, sondern mit nicht einmal 30.000. Gabriele Fischer zog ihr ansonsten stets fröhliches Gesicht in Falten und stotterte, da müsse man nachdenken. Seikel äußerte sich in die Richtung, das habe man schon getan. Econy, dessen zweite Ausgabe mit Überschriften wie „Gegen alle Regeln“ (über die Chancen kreativer Ideen in Großunternehmen) eben in den Regalen lag, werde eingestellt. Gabriele Fischer: „Ich habe ihn dann gefragt, ob er mir die Titelrechte des Heftes verkauft. Er hat gesagt, ich solle mich nicht unglücklich machen.“

Wie man den Schock anschließend in der Redaktion aufnahm, erzählt Bildredakteurin Eva-Maria Büttner: „Erst haben wir geschwiegen. Dann haben wir alle durcheinandergeredet. Dann haben wir uns betrunken.“ Irgendwann kam dann laut Gabriele Fischer der Gedanke auf: „Wir dürfen jetzt nicht auseinandergehen, sonst ist es aus.“ Seit Anfang August ist Gabriele Fischer nun einzige Gesellschafterin der Econy GmbH & Co. KG. Und am 24. September wird das dritte Heft erscheinen, als habe es das Gespräch im Spiegel-Hochhaus nie gegeben.

Rund einmal pro Monat wird in Deutschalnd eine Publikumszeitschrift gegründet. Am Kiosk bleibt es nur deshalb einigermaßen übersichtlich, weil immer mal wieder auch ein Magazin eingestellt wird. Traurig für die Redakteure. Und manchmal auch für die Leser, wenn ein Heft Geschichte hatte und Herzblut an ihm hing. Aber solche Zeitschriften gebe es immer seltener, heißt es seit ein paar Jahren. Neue Heftideen werden schließlich längst in den Marktforschungsabteilungen der Großverlage zur Marktreife gerechnet. Und abseits der Großverlage konnte in den letzten Jahren kaum ein größeres Heft überleben.

Warum sind nun ausgerechnet die Econy-Leute so entschlossen, mit diesen Gesetzen zu brechen, obgleich sie sich doch jeden Tag mit den Ausweglosigkeiten der Wirtschaftswelt befassen? Viel tat wohl die Begeisterung für ihr Produkt dazu. Als Econy erstmals erschien, fanden viele ihre Sehnsucht, es möge wieder Zeitschriften geben, an denen Herzblut hängt, doch noch erfüllt. Bis zum US-Kultmagazin Wallpaper drang der Ruf, daß da etwas ganz Neues entstanden sei: „The blueprint for the business magazine of the 21st century“. Gabriele Fischer: „Ich glaube, es ist ein emotionales Heft.“ Ein Heft jedenfalls, das sich schon bei seinem Auftritt den Gesetzen verweigert hat: lange Texte und statt des gängigen Infokästengewimmels ein beflügelnd schlichtes Layout.

Die Emotionalität, von der die Chefredakteurin spricht, treibt auch die Macher. Da sitzt nun die Kernmannschaft von acht Redakteuren um die lustige Unordnung des großen Redaktionstisches herum, als sei es eine WG-Küche: Zum Beispiel die trotz ihrer 45 Jahre von mädchenhaftem Unternehmensdrang erfüllte Gabriele Fischer, die die Redaktion führt wie eine Reisegruppe („Nun bewegen wir uns auf einem wilden und abenteuerlichen Weg“). Und Paul Josef Raue (48), Lokaljournalist und ein ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, dessen Name angehende Journalisten durch die von ihm verfaßten Lehrbücher kennen. Und Mittdreißiger wie Detlef Gürtler, der für eine Frauenzeitschrift arbeitete und von Geschichten ohne Längenvorgabe schwärmt.

Es scheint eine seltsame Utopie zu sein, die sie zusammenhält: der Glaube, daß aus den Oasen eines neuen Wagnisunternehmertums, über die sie schreiben, Wirklichkeit werde – „Vereinzelungen, aus denen Großes entsteht“ (Detlef Gürtler). Menschen, die berichten, wie sie einst gegen AKWs und Atomrüstung protestierten, und nun glauben, „daß nur in der Wirtschaft noch wirklich Neues passiert“ (Detlef Gürtler). Ein bißchen Trotz kommt dazu: Fünf Hefte hatte der Verlag zu Beginn des Projekts versprochen. Diese fünf Hefte noch zu machen, „das wird unser Mindestehrgeiz sein“, sagt Gabriele Fischer.

Der neue Verlag hat einige wenige stille Teilhaber, Freunde und Sympathisanten, gesammelt, mit deren Geld die nächsten beiden Ausgaben finanziert werden können. Bis zum Jahresende wollen die Neuverleger dann die Verhandlungen mit potentiellen Investoren abgeschlossen haben. Sie verhandeln mit mehreren Geldgebern, die glauben sollen, daß man mit so einem Heft nicht nur bei Fans, sondern auch wirtschaftlich Erfolg haben kann und sie „in drei bis vier Jahren eine Rendite sehen“, wie Gürtler sagt.

Aber war nicht ebendies das Problem? Der Abstand zwischen den 25.000 verkauften Heften und der Vorgabe des Spiegel-Verlages steht bei allem Lob wie ein Beweis der Unmöglichkeit ihrer Mühen vor ihnen. Es könnten ja damals auch die Verlagsleute gewesen sein, die von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, entgegnen die Redakteure: Deren Manager Magazin habe nach zehn Jahren auch nicht mehr die 30.000 Hefte verkauft. Vielleicht muß ein eigensinniges Heft wie Econy mit weniger als 60.000 Exemplaren glücklich sein – wenn es das denn kann. Den neugeworbenen Anzeigenkunden garantiert man vorsichtshalber nur 30.000 Leser, „und auch das ist schwer genug“ (Gabriele Fischer). Der Neuanfang ist ein halbe Nummer kleiner, und Gabriele Fischer kann durchaus vorrechnen, daß er kein Himmelfahrtskommando ist.

Die Econy GmbH & Co. KG ist dennoch ein echtes Wagnisunternehmen mit vielen Unwägbarkeiten, weil es hauptsächlich von einem vagen Glauben lebt. „Es kann sein, daß wir zwei oder fünf Jahre zu früh kommen“, meint Detlef Gürtler. Gerade so viel Realismus gestatten sie sich doch, daß sie der Erfüllung der Utopie ein wenig mehr Zeit geben, als im Busineßplan kalkuliert.

Wenn man spätabends schließlich durch den dunklen, leeren Hof des verlassenen Büropalastes geht und durch die erleuchteten Fenster noch einmal auf die Redakteure guckt, die mit hochgelegten Beinen emsig ihre Geschichten für Heft3 zu Ende bringen, dann sieht es aus, als könne sie ohnehin nichts abhalten von ihrer Idee. Ein Bild, das eigentlich nur in Econy erscheinen könnte.