"Schafft die Golden League ab"

■ Sprint-Weltmeister Ato Boldon über seine Erfahrungen mit Primo Nebiolos neuer, elitärer Leichtathletik-Serie und seine Sorge, daß dadurch dem Sport demnächst die Basis wegbrechen könnte

taz: Herr Boldon, wie war Ihr erstes Jahr in der Golden League?

Ato Boldon: Vielleicht bin ich ja zu analytisch, aber als ich im Januar den Plan sah, war mir schon klar, daß es kein männlicher Sprinter schaffen kann, alle sieben Veranstaltungen zu gewinnen. Dafür ist bei uns das Niveau zu ausgeglichen. Deshalb habe ich meine Saison erst gar nicht danach ausgerichtet.

Langstreckenläufer wie Gebresilasie sagen, für sie sei die Golden League schlecht, da zu anstrengend. Sprinter hätten es einfacher.

Im Gegenteil. Im Langstreckenlauf gibt es Leistungsunterschiede von zehn Sekunden. Wir haben einen viel geringeren Spielraum. Nein, es ist kein Zufall, daß außer Marion Jones nur Leute um den Jackpot konkurrieren, die eine Runde oder mehr rennen.

Macht ein Jackpot von einer Million Dollar für die, die siebenmal gewinnen, Sinn?

Sinn? Der Jackpot? Es sollte einfach mehr sein. Der Jackpot muß höher werden. Ich sage nicht, daß ich dann gewinne. Ich finde nur, es ist eine verdammt schwierige Aufgabe. Stellen Sie sich ein Jahr vor, in dem am Ende acht Leute übrig sind.

Macht die Golden League Sinn?

Die Golden League hat dem Sport die Basis genommen. Man zwingt mich, um Bonusgeld zu laufen. Die ganz unten kriegen gar nichts mehr. Damit kann man den Sport nicht verbessern.

Das ist aber der Anspruch der IAAF.

Ich denke nicht, daß irgend etwas, was sie im letzten Jahr gemacht haben, der Verbesserung des Sports dient. Ich erinnere mich, wie es war, als ich ein B-Athlet war. Da konnte ich für 1.000 oder 2.000 Dollar rennen und mich dann nach oben arbeiten. Jetzt kriegt man gar nichts. Ich kenne keinen anderen Sport, wo man antritt und gar nichts dafür kriegt, wenn man nicht sehr gut ist.

Michael Johnson ist zufrieden.

Ob dieser Sport lebt oder stirbt, ist nicht abhängig von Michael Johnson. Das ist abhängig von dem Athlet, der unten ist, aber auf dem Weg nach oben. Wie kann man ein zweiter Michael Johnson werden, wenn man vier Jahre kein Geld kriegt? Da muß man sich etwas anderes suchen. Football oder irgendwas.

Ihnen geht es doch auch nicht schlecht.

Ich bin nicht in Sorge um mich. Ich habe Leute, die sich um mich kümmern. Ich sorge mich um die Leute, die in meinen Sport hereinkommen. Sie sind die Zukunft meines Sports. Jetzt haben wir 1998, wo werden wir in fünf, sechs Jahren sein?

Was schlagen Sie vor?

Schafft die Golden League ab. Schafft sie ab und kehrt zurück zum dem, wie es war.

Hat der Unwille einiger Athleten, zum Finale nach Moskau zu gehen, mit einer generellen Abneigung gegen die Golden League zu tun?

Nein. Die Athleten wollen deshalb nicht nach Moskau, weil sie besorgt sind, daß es dort nicht sicher sein könnte – und daß sie möglicherweise nicht bezahlt werden. Bei den meisten Leuten, mit denen ich geredet habe, ist es aber nicht so, daß sie gegen die IAAF rebellieren würden.

Sie wollten nie nach Moskau.

Nein, wollte ich nicht. Ich habe kein Golden Money zu gewinnen. Außerdem renne ich nicht gut in der Kälte, und in Moskau ist es jetzt ziemlich kalt. Ich muß mich auf die Commonwealth-Spiele vorbereiten. Also gehe ich dahin, wo es heiß ist – nach Trinidad.

Werden Sie nächstes Jahr das Golden-League-Spiel mitspielen?

Es wird leichter, weil da die 200 Meter gerannt werden. Es gibt nur etwa drei oder vier Leute auf der Welt, die mich über 200 Meter schlagen können – wenn ich fit bin. Aber es ist immer noch schwierig genug.

Das heißt, Sie streben nach dem Jackpot?

Ich würde nicht sagen, daß ich nach dem Jackpot strebe. Ich werde auch meine Saison nicht danach ausrichten. Wenn ich allerdings die ersten zwei, drei Rennen gewinne, muß ich mir meine Gedanken machen. Aber die Chancen sind nicht sehr gut.

Wie viele Athleten finden die Golden League gut, wie sie ist?

In Prozent? Weniger als zehn Prozent, würde ich sagen. Das ist, glaube ich, eine ziemlich realistische Schätzung.

Warum tun die anderen dann nichts dagegen?

Oh, wir werden etwas unternehmen. Wir werden einige Leute überraschen, und zwar schon ziemlich früh im nächsten Jahr. Die Athleten waren schon viel zu lange still. Interview: Peter Unfried