piwik no script img

Gregor Gysi in Oggersheim – und der Bundeskanzler ißt außerhalb

■ Der Star der PDS besucht den Heimatort Helmut Kohls. Die Einwohner der SPD-Hochburg loben ihn – und wählen alle wieder sozialdemokratisch

Oggersheim (taz) – Kaum drin, ist man schon wieder draußen. Das Zentrum des 1937 eingemeindeten Vorortes von Ludwigshafen rund um den Hans-Warsch-Platz ist ein kahler Ort am Rand der Straßenbahnschienen. Der Septembernieselregen macht ihn nicht heimeliger. Der pladdert auf die Auslagen von Eisenwaren-Schneider, auf die Vielzweckkörbchen, die bunten Kosmetikeimer und praktischerweise in die blechernen Gießkannen. „Gysi kommt“, und die Schaulustigen drängen sich an den Häuserwänden vor der kurzen Ladenzeile. Da werden sie wenigstens von hinten nicht naß.

Auffallend viele der Männer tragen Bäuche von Kanzlerformat vor sich her. „Der Kohl“ wohnt nur 800 Meter weit entfernt in Richtung Autobahn in der Marbacher Straße. „Sonst würde uns doch kein Mensch kennen, und wir wären bloß ein ganz gewöhnlicher Stadtteil!“ sagen sie hier. Ludwigshafen ist traditionell eine der pfälzischen SPD-Hochburgen. Und Oggersheim, überragt von den vier weißen Hochhaustürmen der BASF, ist auch ohne PDS „rot, aber tiefrot, immer gewesen, schon seit dem Ersten Weltkrieg“.

Der Heimatort ist Feindesland für den Kanzler. Der ißt, beklagen sich die Einwohner, mit seinen prominenten Gästen „nie in der Stadt, immer nur außerhalb“. Bei der Eisdiele Soligon nebenan ist er aber, sagt die Bedienung jedenfalls, „ein guter Kunde“. Das gelbe Stoffdach des Straßencafés mit Selbstbedienung („Alkohol nur in Verbindung mit Eis“) ist eines der wenigen trockenen Plätzchen auf dem Markt. PDS-Fans und einheimische Neugierige rücken die Stühle zusammen. Frau M. ist extra über die Rheinbrücke aus Mannheim angereist. Wählen will sie Gysi nicht, aber sie ist „einfach neugierig“.

Der Kandidat kommt eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn an und weiß, daß er auf diesem Platz eigentlich nur steht, weil der Kanzler im Ort wohnt: „Das ist nicht gerade eine PDS-Hochburg.“ Die PDS hat im Wahlkreis weder einen eigenen Kandidaten noch auch nur ein einziges Mitglied in Oggersheim; in Ludwigshafen sind es ganze 14. Dort gibt es statt dessen trotz mittlerweile rot-grüner Stadtregierung immer noch den größten SPD-Ortsverein in Rheinland- Pfalz. Die Stippvisite gefällt trotzdem nicht nur den Medien. Gut 200 Menschen harren aus, werden trotz der Regenschauer sogar mehr, während Gysi auf eine Tasse schwarzen Kaffee in die zweite Eisdiele des Ortes enteilt.

Der erste Autogrammjäger dieses Tages wird ihn auch nicht wählen. Er sammelt nur Unterschriften. Gestern hat er sich „Norbert Blüm geholt, und morgen kommt Rainer Eppelmann dazu“. „Den Clinton“ hat er auch schon, fehle nur noch Jelzin. Da kann die PDS auch nicht helfen. „Aber Sie müssen sich sehr beeilen“, sagt einer ganz hilfsbereit.

Und dann redet Gysi, und die Oggersheimer hören artig zu. Das sozialdemokratische Urgestein der Einwohnerschaft diskutiert in kleinen Grüppchen. Und lobt Gysi, der gerade Steuergerechtigkeit predigt und dabei nicht nur „die da unten“, sondern auch das Handwerk, die Bäcker- und Malermeister, umwirbt: „Wo er recht hat, hat er recht!“

Wählen werden sie ihn nicht. Ein Rentner mit Heimatsinn und aufs Hemd gesticktem Edelweiß erklärt seine persönliche Diskrepanz zwischen Einverständnis und Widerwillen. Er sei schon lange vor der Wende als Schwarzmeertourist zu der Überzeugung gekommen, daß der Kommunismus pleite sei. Kommunismus, das ist für ihn Mißwirtschaft. Und PDS ist nun einmal Kommunismus und Gysi deshalb auch: „Wer aus dem Kommunismus kommt, sollte überhaupt keine Politik mehr machen.“ „Ja“, sinniert er dann, „wenn der Mann in der SPD wäre!“

Auf der Tribüne legt der Redner Tempo vor für Umverteilung und gegen steuerbegünstigte Millionäre. Unten regiert die Volksweisheit: „Der Arme bleibt immer arm und der Reiche reich.“ Frau M. ist am Ende begeistert von Gysi: „Der ist gut! Hätten wir nur mehr davon!“ Nur sei er, findet auch sie, eben in der „falschen Partei“. Gysi forciert seine Sprechgeschwindigkeit im einstündigen Redemarathon noch einmal. Und hastet, im Westen der Ein-Mann- Sympathieträger für die ganze Partei, in die Höhle des nächsten Löwen: nach Saarbrücken ins Lafontaine-Land. Heide Platen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen