„Ghettos gibt es nicht in Deutschland“

Es bedarf klarer Worte, wenn es um Ausländer hierzulande geht, meint der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm. Und er formuliert sie: mangelnde Integrationsbereitschaft und Ghettobildung wirft er den Immigranten vor. Soviel undifferenzierte Klarheit diskriminiert, halten Berliner Jugendliche ausländischer Herkunft dagegen. Das Streitgespräch zwischen Jörg Schönbohm und den Jugendlichen koordinierten  ■ Julia Naumann und Barbara Junge

taz: Ercan, Du kommst aus dem Wrangelkiez in Kreuzberg. Lebst Du dort gern? Innensenator Jörg Schönbohm hat gesagt, er fühle sich dort nicht wohl, weil nicht genügend Deutsch gesprochen werde.

Ercan: Ich fühle mich dort wohl. Der Wrangelkiez ist eben eine Welt für sich. Wenn man türkisch erzogen wurde und türkisch spricht, dann kommt man hier klar. Wir brauchen hier die deutsche Sprache nicht. Und vielleicht fühlt sich Herr Schönbohm deswegen nicht wohl. Es ist aber nicht so, wie die Politiker immer behaupten, daß es in Kreuzberg gefährlicher geworden ist und Leute ständig angepöbelt und angegriffen werden. Natürlich gibt es hier auch den typischen jugendlichen Türken, den Klischee-Türken: Goldkettchen, zurückgegelte Haare, arbeitslos, mit Pitbull. Klar, einige meiner Freunde sind so.

Schönbohm: Na, die gibt es doch überall...

Ercan: Aber es stört mich sehr, immer abgestempelt zu werden. Wenn einige so sind, dann sind doch nicht alle so.

taz: Fühlst Du Dich durch Herrn Schönbohms Äußerungen diskriminiert?

Ercan:Ja.

Schönbohm: Warum?

Ercan:Weil Sie sagen, Kreuzberg ist ein Ghetto. Dann heißt das ja, daß man automatisch dazu gehört.

Masen: Ghettos gibt es nicht in Deutschland, nur in den USA. Man muß mit diesem Begriff hier sehr vorsichtig umgehen, auch wegen der Deutschen Vergangenheit. Im Dritten Reich wurde von Judenghettos geredet. Die Leute fühlen sich durch solche Äußerungen abgestempelt und wie Kriminelle.

Schönbohm: Glauben Sie nicht auch, daß es so eine Art Selbst-Ghettoisierung gibt? Ghetto kann Zwang sein, kann aber auch selbstbestimmt sein.

Ersoy: Diese Art der Eingrenzung hat aber auch was mit einer bestimmten Bevölkerungsschicht zu tun. Die, die sich zur Religion hingezogen fühlen. Da bin ich auch total dagegen. Ich bin für ein Miteinander aller.

Schönbohm: Es gibt Gebiete in der Stadt, in denen man sich nicht als Deutscher in Deutschland fühlt. Da ich für die Integration von Ausländern bin, die gut deutsch sprechen, wäre es besser, wenn es keine Viertel gäbe, in den ausschließlich Ausländer leben. Das kann allerdings zwanzig bis dreißig Jahre dauern. Damit habe ich aber etwas anderes gesagt, als was Sie, Ercan, empfunden haben. Ich habe nicht, wie mir auch von türkischen Verbänden vorgeworfen wurde, jemanden diskriminieren wollen, sondern die Situation beschrieben, wie sie zur Zeit ist. Und gesagt, diese müssen wir ändern. Wir werden etwa mehr deutschsprachigen Unterricht in Kitas anbieten und auch der schulische Bereich muß sich verbessern. Nur dann haben die auf Dauer hier Lebenden eine Chance. Das ist mein Ansatz.

Ersoy: Sie sagen, daß Sie sich in manchen Ecken Deutschlands nicht mehr wie in Deutschland fühlen. Doch die letzte Konsequenz der Europäischen Union ist doch, daß man sich nirgends mehr wie in Deutschland fühlt...

Schöhnbohm: Natürlich glaube ich auch, daß Europa zusammenwächst, doch das wird nicht zur Auflösung der Nationen führen. Die nationalen Identitäten werden bestehen bleiben. Es gibt da gewisse Abfolgen: Wenn Sie im tiefsten Afrika als Weißer angesprochen werden, dann werden Sie als Europäer identifiziert. Und dann erst als Deutscher. Doch es geht um etwas anderes. Ich habe mit vielen Kreuzberger Deutschen gesprochen, die sagen: „Wenn sich hier nichts ändert, dann ziehen wir weg.“ Darum geht es. Und die zweite Frage ist, ob wir eine Integration wollen – für die ich bin. Oder wollen wir ein Nebeneinander von verschiedenen Kulturen – wogegen ich mich ausspreche.

taz: Was meinen Sie mit Integration?

Schönbohm: Ein Teil der hier lebenden Türken ist nicht gewillt, auf deutsche Verhaltensweisen Rücksicht zu nehmen. Da entwickeln sich andere Verhaltensweisen, und das führt dann zu Spannungen.

Ercan: Das hört sich so an, als ob Sie alle Türken kennen würden...

Schönbohm: Wie bitte beantworten Sie mir die Frage, daß Kinder der zweiten und dritten Generation immer noch teilweise kein Deutsch können. Oder daß türkische Eltern ihre Kinder zur Schule und zur Ausbildung in die Türkei schicken. Die Eltern sagen, wir wollen, daß unser Kind in der Türkei lernt, obwohl sie hier leben.

Ersoy: Die Eltern schicken ihre Kinder in die Türkei, weil einige hier das Abitur einfach nicht packen. Sie machen da den Schulabschluß und kommen dann wieder nach Deutschland, weil hier die Studienbedingungen besser sind.

Schöhnbohm: Und wie erklären Sie, daß die türkischen Kinder, die hier leben, kein Deutsch lernen? Ich habe gesagt, daß, wer hier in Deutschland eine längere Zeit leben will, eigene Anstrengungen machen und Deutsch lernen muß.

Ercan: Ich konnte mit sechs Jahren noch kein Wort Deutsch, weil ich nur unter Türken aufgewachsen bin. Ich kam in eine Vorbereitungsklasse, und dann habe ich mir das langsam erarbeitet. Diesen Fehler haben unsere Eltern tatsächlich gemacht. Aber sie sind mit der Erwartung hierhergekommen, daß sie irgendwann mal zurückkehren. Die Jüngeren können deshalb oft nicht so gut deutsch, außerdem gibt es viele Zugezogene aus der Türkei, die hier aufgewachsene Türken geheiratet haben. Die sprechen auch schlecht deutsch. Doch bei denen kann ich mir nicht vorstellen, daß die den gleichen Fehler wie meine Eltern machen und ihren Kindern nicht ermöglichen, rechtzeitig Deutsch zu lernen – im Kindergarten zum Beispiel.

Masen: Ich glaube, beim Stichwort Integration gibt es einen Definitionsfehler. Ihre Art von Integration hört sich eher nach Assimilation an. Daß man selbst zu neunzig Prozent deutsch werden muß und die restlichen zehn Prozent bleiben ausländisch durch das Aussehen. Doch unsere Traditionen müssen auch beibehalten werden. Das ist der Wunsch der Eltern und auch meiner, damit ich weiß, woher ich komme und welche Sprache ich ursprünglich spreche. Das ist der Grund, warum viele ihre Kinder in die Türkei schicken oder ihnen nicht ermöglichen, Deutsch zu sprechen. Sie wollen Nähe zu ihrem Ursprung aufbauen.

Schönbohm: Assimilation bedeutet eine Anpassung in allen Lebensbereichen und Verhaltensweisen. Aber es gibt ja schon Unterschiede zwischen Bayern und Berlinern. Wenn ich das übertrage auf die hier lebenden ethnischen Gruppen, dann wird daran deutlich, daß wir durch Assimilierung eine Menge verlieren würden. Mit Integration meinen wir die Anerkennung des Grundgesetzes und eine Gleichheit von Mann und Frau, was einige türkische Mitbürger durchaus nicht anerkennen.

Ersoy: In der deutschen Gesellschaft sind aber Mann und Frau auch noch nicht gleichgestellt. Das ist doch kein Problem, das es nur in der Türkei gibt.

Schönbohm: Wenn aber türkische Eltern sagen, das Mädchen soll nicht am Sportunterricht teilnehmen, dann sind das Ausprägungen, die eindeutig von der Religion bestimmt sind.

Masen: Das hat weniger mit Religion als mit Tradition zu tun. Das wird oft mißverstanden.

Schönbohm: Integration heißt, daß man am gesellschaftlichen Leben und dem System teilnimmt. Und auch im Arbeitsbereich. 1974 hatten wir in Westdeutschland 4,2 Millionen Ausländer, von denen 2,1 Millionen berufstätig waren. Jetzt leben hier 7,2 Millionen Ausländer, von denen immer noch 2,1 Millionen berufstätig sind.

taz: Nun ist aber die Arbeitslosigkeit ingesamt auch massiv gestiegen.

Schönbohm: Das liegt auch daran, daß sie die Sprache nicht können. Es ist zu überlegen, wenn hier jemand dauerhaft leben will, daß die Aufenthaltsgenehmigung an den Spracherwerb gekoppelt ist. Sonst muß die Sozialhilfe gekürzt werden. Wenn man im Arbeitsprozeß ist, lernt man Deutsch am Fließband. Die, die nicht im Arbeitsprozeß stecken, sollen in der Zeit Deutsch lernen.

Ersoy: Viele haben doch gar keine Möglichkeit zum Spracherwerb. Die Volkshochschulkurse sind überfüllt. Ich glaube nicht, daß ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe sich teuren Privatunterricht leisten kann. Bessere Möglichkeiten müssen geschaffen werden. Zum Beispiel müßte für nicht-deutsche Kinder eine Vorschulpflicht eingeführt werden. Das hätte man schon viel früher machen müssen.

Schönbohm: Wogegen ich mich wehre, ist, daß alles mundgerecht serviert wird. Die, die hier leben wollen, müssen verstärkt Eigeninitiative ergreifen. Und wir Deutschen können dazu auch beitragen. Zum Beispiel mit einer Bürgerinitiative. Wenn wir eine Initiative für die deutsche Sprache hätten, wäre das gut. Es gibt soviel pensionierte Lehrer, die sich da stärker einbringen könnten.

taz: Ist für Euch die deutsche Sprache ein Problem?

Masen: Natürlich sollte jeder einigermaßen Deutsch sprechen, der hier leben will. Damit er oder sie sich auf Ämtern, im Kindergarten und der Schule verständigen kann. Das ist wichtig, damit das Leben hier gesichert ist. Und damit es keine Probleme allein durch die Sprachbarriere gibt. Gleichzeitig aber sollten die Deutschen den Fremden gegenüber auch offener sein. Das sieht man ja schon bei den Elternabenden, wo die türkischen Eltern gar nicht erst erscheinen. Auch weil sie Angst haben, mit fremden Menschen in Kontakt zu kommen.

Ercan: Herr Schönbohm, Ihre Äußerungen hören sich so an, als ob die Ausländer gerade mal soviel Deutsch könnten, daß sie sich einen Laib Brot kaufen könnten...

Schönbohm: „Laib Brot“ würde ein Deutscher nie sagen. Das ist ein sehr schöner Begriff. Den finde ich sehr gut.

Ercan: In meiner Umgebung kriegen die meisten das hin mit der deutschen Sprache. Bei der Jobsuche hat das aber nicht nur was mit den Sprachkenntnissen zu tun, sondern auch damit, daß es einfach keine Jobs gibt.

taz: Daß Arbeitslosigkeit teilweise mit dem Spracherwerb zu tun hat, da sind wir uns wohl alle einig. Manche Betriebe stellen aber auch keine Ausländer ein, weil sie eben Ausländer sind.

Schönbohm: Mir ist das nicht so in dem Ausmaß bekannt, daß Betriebe nicht gerne Ausländer nehmen. Alle Betriebe mit denen ich mich unterhalten habe, sagen bezogen auf die Türken, daß die ungeheuer fleißig und pflichtbewußt sind. Oft mehr als die Deutschen. Wenn es aber tatsächlich so ist, daß da Diskriminierungen sind, dann ist das das nächste Thema, was man angehen muß.

taz: Fühlt Ihr Euch eigentlich angesprochen, wenn Herr Schönbohm von „den“ Ausländern spricht? Ihr lebt doch alle schon sehr lange in Deutschland oder seid hier geboren.

Masen: Ich fühle mich mehr deutsch als syrisch. Mein Alltag ist deutschgeprägt. Ich lese zum Beispiel fast auschließlich die deutschen Zeitungen. Die arabischen verstehe ich teilweise nicht. So wie es aussieht bin ich also Deutscher.

Ersoy: Eigentlich nicht, da von den Ausländern immer sehr differenziert berichtet wird. Außerdem ist mein Leben von beiden Kulturkreisen so beinflußt, daß man erst beim späteren Nachdenken merkt: Du bist ja auch ein Ausländer! Deswegen bin ich für die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich mußte immer wieder zu den Behörden, um meinen Status hier zu sichern.

Schönbohm: Ich finde vielmehr, daß sich das Ausländerrecht zu sehr nach den Belangen der Ausländer richtet und nicht danach, wie Deutsche und Ausländer zusammenleben. Deshalb haben wir auch eine sehr hohe Zuwanderung. Ich glaube deshalb, daß die doppelte Staatsbürgerschaft kein Ausweg ist. Die entscheidene Frage bei den Hiergeborenen ist, kann er oder sie die Sprache und wie sind die schulischen Leistungen. Sie müssen sich nach dem 16. Lebensjahr entscheiden, ob sie eingebürgert werden wollen oder eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Ersoy: Dafür muß man aber auch erst aus der alten Staatsbürgerschaft entlassen werden. Als wir den Einbürgerungsantrag gestellt haben, haben wir von den türkischen Behörden zwei Jahre lang gar nichts gehört. Dann kam ein Bescheid und meine Eltern und meine kleine Schwester wurden aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen. Ich nicht. Das liegt wahrscheinlich am Militärdienst in der Türkei. Eine doppelte Staatsbürgerschaft wäre ein Ausweg.

Schönbohm: Von einem Fall wie dem Ihrigen habe ich noch nie gehört. Ich bin gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Ausnahmen kann es nur ganz selten geben. Zum Beispiel bei Iranern, die nicht aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen werden. Das müssen wir sehr rigide handhaben.

Ercoy: Stimmen Sie den Aussagen des Berliner CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky zu, der gefordert hatte, bestimmte Neubauwohnkomplexe wie das Neue Kreuzberger Zentrum oder den Sozialpalast abzureißen? In denen leben überwiegend Nicht-Deutsche. Sein Argument war, daß sich dort Kriminelle angesammelt hätten und durch einen Abriß soziale Probleme verschwinden könnten.

Schönbohm: Das ist mir zu radikal. Es gibt die Möglichkeit der Wohnumfeldverbesserung, das ist der richtige Weg. Es ist klar, daß solche Häuser oder Siedlungen problematisch werden können, wenn sie nur mit Sozialhilfeempfängern, egal welcher Nationalität, belegt sind. Wenn man das ändern will, muß die Fehlbelegungsabgabe für Sozialwohnungen geändert werden, damit die Häuser wieder stärker durchmischt werden. Daß die Besserverdienenden nicht wegziehen und die Kieze nicht destabilisiert werden. Außerdem sollten freiwerdene Wohnungen von türkischen Familien nicht mehr mit Türken, sondern mit Deutschen besetzt werden. Neulich habe ich in Kreuzberg mit einem deutschen Ehepaar, das seit 35 Jahren in einer Neubausiedlung wohnt, gesprochen. Sie sagten, daß sie dort weiter leben wollten, es ihnen aber schwerfalle. Dann bin ich mit denen vom 12. Stock bis ins Erdgeschoß runtergegangen. Die Hälfte des Hauses ist von Nicht-Deutschen belegt. Das Haus war verdreckt und besprayt. Sie sagten, die Ausländer würden sich nicht an die Hausordnung halten. Die haben mich gefragt, ob ich mich hier wohlfühlen würde. Ich sagte nein. Sie sagten: „Aber einige, die hier wohnen, fühlen sich wohl und wenn wir was sagen würden, werden wir teilweise als Nazis beschimpft“.

Ercan: Aber haben Sie nicht auch mal gefragt, warum die sich nicht an die Hausordnung halten? Ob man Türke, Pole oder Tscheche ist – im Dreck zu leben, gefällt keinem.

taz: Herr Schönbohm spricht sich gegen eine multikulturelle Gesellschaft aus, aber für eine Vielfalt der Kulturen. Was haltet Ihr davon?

Ercoy: Ich wohne in einer sehr ruhigen Wohngegend im Süden Berlins. Da wohnen relativ wenige Ausländer. Ich würde meinen Freundeskreis dennoch als multikulturell bezeichnen. Unter meinen besten Freunden ist ein Deutscher. Ich bin oft in Kreuzberg und jedesmal, wenn ich da hinkomme, freue ich mich. Ich würde da auch hinziehen. Für mich wäre die ideale Gesellschaft die multikulturelle Gesellschaft, wo viele Kulturen miteinander in Frieden leben. Ich finde es komisch, daß sich irgendwelche Linksalternativen in Kreuzberg auch nicht mehr wohl fühlen, aber nicht genau festmachen können, woran das liegt. Die sind keiner Gewalt ausgesetzt, aber fühlen sich einfach nicht mehr wohl. Das ist eine Sache, die sich in den Köpfen abspielt und gar nicht konkret ist.

Ercan: Viele reden von Multikulti, aber keiner weiß eigentlich so genau, was das bedeutet. Ich verstehe darunter was vollkommen anderes. Da, wo ich lebe, im Wrangelkiez, leben Deutsche und Türken nebeneinander her. Man akzeptiert sich, aber die verschiedenen Leben greifen nicht ineinander ein. Daß zum Beispiel Achmed zu Alfons sagt: „Komm wir trinken zusammen einen Kaffee“, das gibt es nicht. In der Schule ist das anders. Wenn Du, Ersoy, sagst, Dein bester Freund ist ein Deutscher, dann bedeutet das ja nicht gleich, daß das multikulturell ist. Ich finde nicht, daß man diesen Begriff auf die eigene Person beziehen kann.

Masen: Ich verstehe unter Multikulti, daß diese verschiedenen Nationalitäten da sind, daß man sich mit denen versteht und sie nicht von vornherein in eine bestimmte Kategorie einordnet. Daß man sie als Menschen akzeptiert und versucht, sie kennenzulernen.

Schönbohm: Multikulturell ist ein Kampfbegriff, der von der Linken kommt, die im Grunde genommen die deutsche Nation so nicht mehr anerkennt. Die Basis des Zusammenlebens hat sich aus der deutschen Geschichte und Kultur gebildet und darauf kann eine Vielfalt der Kulturen basieren.

taz: Innensenator Schönbohm wurde vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin der Deutschtümelei beschuldigt und vorgeworfen, damit den braunen Bodensatz zu fördern. Seine Äußerungen über Ghettos und Deutschpflicht für AusländerInnen haben eine hitzige Debatte provoziert. Hat die Debatte Eurer Ansicht nach auch einen positiven, produktiven Effekt gehabt?

Ersoy: Viele Ihrer Äußerungen klingen wie die von Rechtsradikalen. Das Gefährliche ist, daß die Themen Ausländer und Arbeitslosigkeit in der Öffentlichkeit paralell laufen.

Schönbohm: So rechtsradikal, wie Rechtsradikale sind, kann man nie als demokratische Partei sein. Und jetzt kommt die Abwägungsfrage: Ich sage, wenn die Politik auf diese Fragen nicht eingeht, nicht mit den Bürgern redet, die zum Teil sehr empört sind, dann ist das katastrophal. In Ostberlin, wo es kaum Ausländer gibt, wird diese Frage sehr intensiv diskutiert. Die sagen, wenn Ihr das Thema nicht ansprecht, dann suchen wir uns neue Mehrheiten – die rechtsradikalen.

Ercan: In meinem Bekanntenkreis wurde gesagt, daß Schönbohms Äußerungen mit dem Bundestagswahlkampf zu tun haben. Daß die DVU damit Erfolg hatte, hat man in Sachsen-Anhalt gesehen. Und jetzt versucht man, so eine ähnliche Linie einzuschlagen, damit man Wählerstimmen gewinnt. Dadurch soll die CDU attraktiver werden. Daß darüber insgesamt geredet wird, finde ich gut. Die Frage ist nur wie.

Ersoy: Es hätte nicht so mit der Holzhammermethode passieren dürfen. Kein Mensch findet es gut, wenn ihm irgendetwas vorgeschrieben wird. Vielleich hätte man einen Rundbrief an die Türken schicken und sie zum Dialog auffordern sollen. Eine Kampagne machen.

Schönbohm: Wenn man etwas feinsinnig ausdrückt, dann hört niemand zu. Man steht eben vor der Frage, ob man die Themen anspricht, die die Bürger bewegen oder nicht. Lange Zeit wurden diese Fragen nicht angesprochen, weil geglaubt wurde, daß es schwierig sei, eine Balance zu halten. Daß ich das jetzt anspreche, hat nichts mit der DVU zu tun, sondern damit, daß in diesem Punkt Handlungsbedarf besteht. Natürlich besteht die Gefahr, die Sie angesprochen haben: Wenn man sich zu drastisch äußert und schnelle Lösungen fordert. Schnelle Lösungen gibt es nämlich nicht. Man muß sich in den großen Parteien darüber verständigen, daß es Probleme gibt, die man lösen muß. Und darüber, was man erreichen will.

Ersoy: Wenn Sie etwas erreichen wollen, Herr Schönbohm, dann sollten auch Sie ihre Sprachkenntnisse erweitern. Ich wollte Ihnen deshalb abschließend ein kleines Geschenk machen. Sie sollten zukunftsweisend sein und ein bißchen türkisch lernen. (Überreicht ihm ein Türkischlehrbuch)

Schönbohm: Kann man da die Phonetik nachlesen? Ich möchte das ja nicht falsch aussprechen, sonst mache ich mich lächerlich.