Wieder werden die Peitschen geschwungen

■ Mit Gruppenarbeit und Zeitkonten rettete die Belegschaft ihr Lloyd Dynamo Werk anno 1995 vor dem Aus. Jetzt kehrt sie zu alten Arbeitsformen zurück

Branco Delic und Thomas Schwedt, „die machen hier alles – hier“. Ihr Betriebsrat Günter Grootheer sagt diesen Satz häufiger, beiläufig im Vorbeistreifen an den verstreuten 300 Motorenwerkern – hier – bei Lloyd Dynamo, am Ende des Osterdeichs. Drei- oder Vierfunktioner sind sie allesamt, bauen Mechanik, Hydraulik, Elektrik für Antriebsmaschinen von Ozeanriesen und von Windkrafträder auf Offshore-Inseln, von Papier-, Werkzeugmaschinen oder von Kränen. Eben „alles“, sagt Günter Grootheer nun schon wieder, aber das klingt nicht angeberisch aus dem Mund des altgedienten Betriebsrats-Vorsitzenden, der sich als Konstrukteur noch so manches mehr erträumt. Den Einliter-Diesel-Motor, zum Beispiel: mit Nutzung der Bremsenergie fürs Antriebssystem – kein echter Motorenbauer, der nicht vom perpetuum mobile schwärmt! Oder – was für ein Traum! – einen Betrieb, in dem der Betriebsratsvorsitzende mal nicht über Sozialplan, Abfindung und Aus-Und-Vorbei nachdenken muß, sondern in Ruhe an einem fünfjährigen Gruppenarbeits-Modell arbeiten kann. Dies nämlich geht gerade den Bach runter.

„Nachschulung wäre nötig“, sagt Grootheer und meint damit nicht die fachliche Qualifikation der beiden Elektromotorenbauer Branco Delic und Thomas Schmidt, die gerade um das Dreimeter-Stahlgehäuse einer Klöckner-Maschine herumturnen, um sie für die Stahlwerke wieder fit zu machen. Ein bißchen Erinnerung an das große Aha-Erlebnis der Kollegen bräuchte es, als vor fünf Jahren unter dem gemeinsamem Druck eine kleine Revolution durch die Hallen der Lloyd Dynamo fegte und das mittlere Management Muffensausen bekam, weil die Hierarchien flöten gingen. In den Jahren des AEG-Niedergangs war das, Anfang der Neunziger. Irgendwann, so erinnerte sich kürzlich der damalige Betriebsrat Stefan Beyersdorf, „irgendwann war praktisch alles möglich.“

Die 75 Jahre alte Tante Lloyd Dynamo sollte zu Grabe getragen werden, schon waren 300 der rund tausend Mitarbeiter in den Vorruhestand abgewandert – und eigentlich bildete sich nur noch der Betriebsrat ein, besser als seine Geschäftsführung zu wissen, wo noch ein Ausweg für die AEG-Tochter Lloyd Dynamo sein könnte. In flachen Hierarchien, in Produktsicherung und der Eröffnung von Zukunftsprodukten im Dienstleistungsbereich nämlich. Eher konventionelle Ideen gegen Ende des 20. Jahrhunderts – für den damaligen Geschäftsführer Dzietko aber allemal Grund genug, abwehrend „Rote Socken!“ zu rufen. Das war im Juni '93: Die Rede war von Massenentlassungen und Sozialplan – aber der Betriebsrat bockte, brach die Verhandlungen ab – „irgendwann“, so Beyersdorf, „war die Geschäftsleitung zu allem bereit“.

Sogar zu dem geforderten Sachverständigen von außerhalb, das Bremer Institut für Betriebstechnik und angewandte Arbeitswissenschaft (Biba). Gemeinsam führte man Gruppenarbeit ein, stoppte den Ausverkauf des Maschinenparks; die Überstundenmalocherei wurde durch Zeitkonten ersetzt. „Eiei, was wir von den Kollegen da für Schläge bekamen“ – Günter Grootheer läßt die Erinnerung in der Luft hängen.

Und dann das „Aha-Erlebnis“: Die Gruppenarbeit funktionierte. Die Materialbeschaffung flutschte, die Ausnutzung des Ofens stieg phänomenal, plötzlich war der direkte Kontakt zwischen Elektrobauern und Konstrukteuren möglich. Nach drei Jahren war die Pleite abgewendet – wenn auch auf denkbar niedrigem Niveau. Mit dreihundert übriggebliebenen Kollegen übernahm die Frankfurter Holding elexis Anfang 1996 die Lloyd Dynamo Werke – und frohlockte im Sommer '97: 1998 schreiben wir schwarze Zahlen.

Doch die Zahlen sind immer noch rot. Obwohl die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer um 60 Prozent stieg: 80.000 Millionen Mark machen die 300 Mitarbeiter heute – 1990 kamen bei 1.000 Mitarbeitern gerade mal 130 Millionen raus. Und obwohl „die Aufträge reingeschaufelt werden, wie nichts Gutes“, stöhnt Betriebsrat Peter Müller – und zweifelt ein bißchen, ob es immer vom Besten ist, „Unglücklich“, findet das sein Vorsitzender Grotheer vor allem, weil die Holding-eigene Konkurrenz, die Firma Schorch in Frankfurt, allein für die Beschaffung dieser Aufträge zuständig sei. Man müsse das regionale Netzwerk nutzen, preist der Motorenbauer Standortvorteile: Mit nagelneuen Motoren für die BLG, mit Service für die Stahlwerke gäb's da doch feine Ansätze. Und hin und wieder mit einem Schiffsantrieb – wie jetzt für die Oriana, den Kreuzfahrer – bei Meyer Papenburg: Das schafft bei Lloyd für 50, 60 Leute Arbeit.

Stattdessen hänge man schon wieder – wie zu AEG-Zeiten – am Tropf der 500 Kilometer entfernten Mutter. Ende letzten Jahres kamen erneut Schließungsdrohungen. Anfang des Jahres nahm der Betriebsrat die Entlassung von 47 Kollegen hin. Nahm hin, daß für ein Jahr Weihnachts- und Urlaubsgeld gekappt werden. Denn elexis will an die Börse. Da muß die Tochter in Bremen gesund aussehen – auf Teufel komm raus. Und der sitzt nicht nur in den Bilanzen.

Sondern vor allem in einer Gruppenarbeit, in die schon wieder von oben reingepfuscht wird, klagen die Arbeiterführer Grotheer und Müller unisono. Just schwinge ein neuer „Terminjäger“ „hier die Peitsche.“ Obwohl schon der vorherige Betriebsleiter nicht mehr wußte, wofür er da sei. Längst werde – trotz Zeitkonten – wieder an den Wochenenden geschuftet, nur daß das heute nicht mehr als Mehrarbeit bezahlt wird. Absurde Konsequenz einer Einrichtung, die eigentlich zu einer progressiven Personalpolitik führen sollte, findet der Betriebsrat und hat der Geschäftsleitung angedroht: Ab Oktober werden die Zeitkonten aufgekündigt: „Das hat bei der Belegschaft eingeschlagen wie eine Bombe“. Ein Lichtblick: Endlich dürfen wieder Überstunden geschunden werden! Nur der Betrieb, der ist mit seinen Entlassungen, seiner Terminjagd und der Überstundenschinderei wieder im Jahr 1993 angelangt. ritz