"Das Gesicht eines Krieges zeigen"

■ ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser über Grenzfälle bei der Ausstrahlung von grausamen Bildern im Fernsehen: "Man muß überlegen, welche Nähe notwendig ist, um einerseits die Würde der Opfer zu wahren, andere

Darf ein Fernsehsender die grausame Realität des Krieges in einer Nachrichtensendung zeigen, auch wenn die Bilder abbilden, wie Menschen getötet werden? Darüber wird wieder diskutiert, seit das ZDF in seiner „Heute“-Sendung um 19 Uhr am vergangenen Donnerstag eine Szene aus dem Krieg in Kongo gezeigt hatte (siehe Fotos rechts). Gegen die Ausstrahlung hatte FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle protestiert, der wie viele Politiker im ZDF-Fernsehrat sitzt. Intendant Dieter Stolte hatte daraufhin die Ausstrahlung bedauert.

taz: Gibt es bei Ihnen grundsätzlich Vorbehalte, Wirklichkeit zu zeigen, wenn sie auch grausame Szenen beinhaltet?

Klaus Bresser: Ich glaube, der Zuschauer muß die Wirklichkeit gesehen haben, um sie beurteilen zu können. Deshalb müssen wir, um die Dimension eines Ereignisses klarzumachen, auch Bilder zeigen, von denen wir wissen, daß sie schockieren. Man muß aber sehr genau darüber nachdenken, an welcher Stelle man solche Bilder zeigt und in welchem Kontext. Das war sicherlich in der vergangenen Woche nicht gegeben.

Was war der Fehler?

Ich glaube, man kann solche Bilder nicht, unter vielen anderen, in einer Nachrichtensendung zeigen, ohne den Zuschauer darauf vorzubereiten und in die Umstände einzuweihen, unter denen die Bilder zustande gekommen sind.

Die Bilder sind in der „Heute“- Sendung um 19 Uhr gelaufen. Wäre denn im „Heute-Journal“, eher ein Platz?

Die Einordnung wäre dort möglich gewesen, vorausgesetzt, man hätte die Zeit dazu gehabt. Wir haben das Gebot der Distanz zu wahren und jedesmal zu überlegen, welche Nähe notwendig ist, um einerseits die Würde der Opfer zu wahren und andererseits die Dimension des Ereignisses zu verdeutlichen.

Wie kann eine solche Einordnung aussehen?

Man muß zuallererst darauf hinweisen, unter welchen Umständen die Szenen zustande gekommen sind. Von welchem Fernsehteam sie aufgenommen worden sind, unter welchen Bedingungen dieses Fernsehteam hat arbeiten können, oder ob es sogar auf Aufforderung des Regimes gedreht hat. Dann hätte man darauf vorbereiten müssenn, daß grausame Bilder zu erwarten sind, die allerdings beispielhaft sind für das, was in dem Land derzeit geschieht, auch wenn keine Kameras dabei sind. Dann hätte man wahrscheinlich auch ein Wort darüber verlieren müssen, daß wir die Würde von Opfern achten, daß es hier aber darum geht, ein Dokument der Grausamkeit zu zeigen, das möglicherweise dadurch, daß man es zeigt, zu einer Änderung der Verhältnisse führen kann. Das haben wir ja wiederholt erlebt, ob in Vietnam, in Somalia oder auch in Bosnien.

Wie hätten Sie das bei den fraglichen Szenen aus Kinshasa konkret getan?

Indem der Moderator erst einmal in die politische Situation am Kongo eingeführt hätte. Indem er dann gesagt hätte: „Von dort haben uns Bilder erreicht, die ein Fernsehteam gedreht hat, das unter Aufsicht des Regimes arbeitete. Es handelt sich leider um alltägliche Bilder.“ Und indem er gesagt hätte, daß wir diese Bilder zeigen, obwohl wir wissen, daß sie entsetzlich sind. Aber sie machten die Dimension eines alltäglichen Verbrechens an wehrlosen Menschen klar. Daß wir die Bilder in der Hoffnung zeigen, möglicherweise etwas zu ändern. Dann, glaube ich, hätte man erläutern müssen, unter welchen Umständen in den ersten Szenen des Berichts die verkohlten Leichen, die in der Szene zu sehen waren, zu Tode gekommen sind. Und man hätte auch erläutern müssen, wie zu erklären ist, daß sich die Umstehenden die Szenen bejubelt haben: ob das etwa bestellte Jubler sind. Dann hätte man die Umstände klären müssen, unter denen die Bilder auf der Brücke zustande gekommen sind, auch mit der Frage, ob die Soldaten so gehandelt haben, weil eine Kamera da war. Ich hätte schließlich das Schießen über die Brüstung und den Schwenk auf den Körper, der halb im Wasser lag, verkürzt. Wenn man die Szene derart abgekürzt hätte, wäre immer noch klar geworden, welches Verbrechen dort geschieht.

Das Problem scheint doch, daß Bilder eben nicht nur einen Informationsgehalt haben, sondern zuerst eine emotionale Wirkung. Dadurch können sie aufrütteln, wenn sie gezeigt werden – das birgt aber zugleich auch die Gefahr der Abstumpfung, von der Kritiker sprechen.

Aus dem fiktionalen Bereich weiß man sehr genau, daß die dauernde Darstellung von Gewalt abstumpft. Gerade weil das so ist, haben wir darauf zu achten, daß wir nicht Tag für Tag Schießereien, Mordanschläge und Gewaltverbrechen zeigen. Aber in bestimmten Situationen, gerade da, wo man bisher wenig erfahren hat über einen Konflikt, da muß es sein, daß man auch immer mal wieder das Gesicht eines Krieges zeigt – auch anhand von Dokumenten der Brutalität und der Grausamkeit.

Gibt es Fälle, wo Sie selbst das Zeigen bestimmter Bilder abgelehnt haben?

Es wird ein Großteil der grausamen Bilder, die im Angebot der internationalen Agenturen sind – darum handelte es sich ja auch hier –, im deutschen Fernsehen nicht gezeigt. Das ist bestimmt auch das Resultat unseres Empfindens solcher Bilder gegenüber, das anders ist als etwa in Südamerika oder Südeuropa.

Wird es nicht immer schwerer, solche Ereignisse aus dem Kontext der sonstigen Nachrichten herausheben, da das Nachrichtengeschäft immer schneller wird und die Nachrichtenvermittlung immer stärker festen Regularitäten folgt?

Das größte Problem ist das Tempo. Es wird tatsächlich immer schwieriger, die Rasanz der Nachrichtensendung für einen „zweiten Gedanken“ zu durchbrechen. Gerade deshalb muß man sich sechsmal fragen, was man zeigt.

Bleibt Ihnen dafür noch Zeit? Die Bilder bei „Heute“ wurden ausgestrahlt, kurz nachdem die Redaktion sie bekommen hatte, eine „Entschuldigung“ dafür, daß man sie zeigt, wurde durch den Nachrichtensprecher gerade noch improvisiert.

Es ist klar, daß es für solche Bilder einen Markt gibt. Aber wir müssen uns die Freiheit nehmen, auf sie zu verzichten, wenn wir einen bestimmten Standard der Berichterstattung halten wollen.

Führt auch die größere Konkurrenz unter den Sendern dazu, daß der Druck wächst, möglicherweise auch der innere Druck?

Natürlich wächst der Druck, und natürlich gibt es unter Kollegen das Argument: Wenn wir es nicht zeigen, zeigen es die anderen. Aber das darf nicht unsere Entscheidung beeinflussen. Interview: Lutz Meier