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Der junge Mozart, eingezwängt

■ Musikfest: Das Hilliard Quartett bat in der Liebfrauen-Kirche eindringlich um Vergebung

Seltsam. Am Ende von 70 Minuten „stiller Größe und edle Einfalt“ ballte einer der vier Hilliard-Sänger die Faust und grinste breit über das ganze Gesicht, als hätte er gerade gegen Boris Becker ein Match gewonnen.

Muß wohl zu tun haben mit Arvo Pärts Begriff der „angespannten Ruhe“. Auch Stille kann anfeuern. Das Konzertprogramm der Hilliards und von Tonu Kaljustes estnischem Kammerchor und -orchester giert nachgerade nach einer ebenso unzutreffenden wie wunderschönen geschichtsphilosophischen Deutung: von erhabenem Gleichmut zu heiterem Trubel zurück zum Gleichmut. Monteverdi, Mozart und Arvo Pärt heißen die Protagonisten dieser Kreisbewegung. Von ihnen zu hören waren drei Versionen von Fürbitten, zweimal an Maria gerichtet, einmal an „O Lord“ himself.

Wolfgang Rihms „In-Schrift“, eine Woche zuvor, endete mit einem verhaltenen, aber nervösen Harfengezirpe, das den Zuhörer nicht entspannt ausatmen ließ. Arvo Pärt dagegegen glaubt in seiner „Litany“ an den versöhnlichen, stimmigen Schluß: Ein weiter Ambitus, aufgerissen von leeren Oktaven, erzählt ganz leise vom Glück des Nirwanas. Leonard Bernstein deutete mal Musik als Weiterdenken der allerelementarsten, allereinfachsten biologischen Vorgänge wie Pulsschlag und Gehen. Als wollte er diese Theorie verifizieren, rückt Arvo Pärt ein Pulsieren auf einem Ton und simple Pendelbewegungen ins Zentrum des Komponierens. Und zwischendurch zerreißen Pausen den ruhigen Fluß, die wirken wie ein staunendes Anhalten des Atems; oder es zuckt ein Einzelton heraus, als handle es sich um ein flackerndes Augenlid: Mit der glibbrigen Harmonie von Esoterik-Soundkulissen hat Pärt eben nichts zu tun. Zu Beginn der Litany wird der helle Gesangston geboren aus Klarinette und Glocke. Beeindruckend realisieren Orchester und Gesangssolisten dies konturlose Ineinanderfließen von Ding und Mensch. Reibungen von Sekunden fassen sie nicht als Atonalität auf, sondern als eine Art Elektrizitätsentladung bei naher Berührung. Dieser Ton ist ebenso fein wie knisternd. Er lotst hinüber in eine andere Zeitwahrnehmung voller Geduld.

Ein Chor von lauter verkappten Solisten macht sich gerade bei einem Stück wie Monteverdis Marienlitanei gut, wo der reine Ton alles ist, Gestaltung tendenziell eher wenig, eher schon die kalkulierte Abwesenheit von Gestaltung. Aufmerksam verfolgen Chor und Orchester die Wechsel zwischen Homophonie und Polyphonie, zwischen ungeradem und geraden Takt ohne an der statuarischen Grundbefindlichkeit zu rühren.

Eingezwängt zwischen den beiden Ruhepolen wirkt Mozarts Lauretanische Litanei anfangs ziemlich naiv und oberflächlich. „Miserere nobis“ ist eine süße Galanterie ohne Hauch eines Schuldbewußtseins, das erste „ora pro nobis“ purzelt dem Hörer als putziger Melismen-Schnörksel entgegen, das letzte „ora pro nobis“ wuchert mit einer überzüchteten dramatischen Geste, die ebenso schwach vorbereitet wieder verschwindet, wie sie auftauchte. Unoriginelle, floskelhafte Kadenzen, Begleitfloskeln oder Modulationen dieses Frühwerks wechseln mit schönen Melodieeinfällen.

Spätestens beim engelgleich gesungenen Sopransolo im „Agnus Dei“ kommt aber auch Mozart an bei einer Schlichtheit, die bewegt, fast wie die zwei Konkurrenten. Konzertveranstalter Pölking-Eicken betreute den Kartenumtausch höchstselbst (das Konzert war ursprünglich für den Dom ausgewiesen) mit soviel Freundlichkeit und Sorgfalt, daß man gerne umgesiedelt wird, zur Not auch neben Pauken. Zumal sie bei Pärt oft unpaukisch eingesetzt werden, eher gewittergrummelnd als plärrend. bk

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