Manisches Verlangen nach Arbeit

■ Eine antiquierte linke Kapitalismuskritik sowie eine krude Faschismusanalyse Uefördern den Aufstieg der nationalen Sozialisten

Am 27. September droht politischen Langschläfern ein böses Erwachen. Statt Helmut Kohl oder Gerhard Schröder könnte sich Gerhard Frey als eigentlicher Sieger erweisen: durch Einzug seiner „Deutschen Volksunion“ (DVU) in den Bundestag, zumindest jedoch in den am selben Tag gewählten Landtag von Schwerin.

Bis dato werden wir noch eingelullt mit demoskopischen Milchmädchenrechnungen über ein Kopf-an-Kopf-Rennen der etablierten Elefanten – ein Entertainer-Trick aus den gemütlichen Tagen der untergegangenen Bonner Republik. Doch Kenner der Szene halten ein Ergebnis wie in Sachsen- Anhalt für möglich, wo die DVU, den Prognosen zum Trotz, am Ende bei 12,9 Prozent landete. In Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls schätzt der Verfassungsschutz das Wählerpotential der Rechtsradikalen auf 16 Prozent. Die Beamten gehen explizit davon aus, daß erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte zwei Nazi- Organisationen gleichzeitig der Sprung in ein Landesparlament gelingen könnte – DVU und NPD.

Die SPD in Mecklenburg-Vorpommern setzt dem Vormarsch der nationalen Sozialisten das letzte politische Aufgebot entgegen: eine sozialdemokratische Truppe, ausgerüstet mit den eisernen Theoriekonserven des Stamokap. Die neuesten Erkenntnisse von SPD-Landeschef Harald Ringstorff stammen noch aus der DDR-Staatsbürgerkunde: „Mit Sozialismus hat die NPD nichts zu tun. Auch die NSDAP im Dritten Reich wurde schon hauptsächlich vom Großkapital unterstützt.“

Ringstorff konterte damit eine Analyse des Schweriner CDU-Innenministers Armin Jäger, wonach NPD und DVU nationale und sozialistische Strömungen vereinigten. Mit Verlaub: Der CDU-Mann liegt mit dem Verweis auf das Sozialistische an den neuen Nazis richtig. Dabei spielen sich Straßenmilitante und Möchtegern-Parlamentäre gegenseitig die Bälle zu – wie in der Entstehungsphase der Grünen: Die Kaderpartei NPD kümmert sich im schönsten maoistischen Dummdeutsch (“Jetzt die nationale, antikapitalistische Wirtschaftsordnung schaffen!“) um die Basisarbeit im subkulturellen Untergrund. Den angefixten Kids bietet die „Phantompartei“ DVU dann mit millionenschweren Werbekampagnen nationalsozialistische Realpolitik an: „Wenn die Bosse nicht investieren, muß der Staat Arbeitsplätze schaffen – für Deutsche zuerst!“

Von Schweriner Sozialdemokraten bis zu Kreuzberger Autonomen tanzt man immer noch den Georgi Dimitroff: Hinter dem Faschismus steht das Kapital. Das stimmt zumindest für die DVU nicht: Regierung, Wirtschaft und millionenschwere Medien haben alles versucht, um die DVU totzuschweigen. Der einzige Millionär, der die DVU wirklich großzügig sponsort, ist ihr Vorsitzender Gerhard Frey selbst. Und diejenigen, die die Partei mit ihrer Zustimmung groß machen, ist gerade nicht das Bürgertum: Jeder zweite DVU-Wähler in Sachsen-Anhalt war Arbeiter. Verkürzt gesagt: Das Proletariat, und nicht das Kapital, macht den aktuellen Vormarsch von DVU und NPD möglich. Kein Wunder: Während die Proleten die ausländischen Billiglöhner als Konkurrenz begreifen, betreiben die Unternehmer mittels offener Grenzen für Arbeitnehmer profitables Lohndumping.

Die unterschiedlichen ökonomischen Interessen erklären auch, warum die offenen Nazi-Parteien die „Republikaner“ überflügelt haben: Die Reps errangen und verteidigten ihre Hochburgen in Bayern und Baden-Württemberg, also in den reichsten Regionen der Bundesrepublik, die den Übergang ins High-Tech-Zeitalter vergleichsweise gut bewältigt haben. Demgegenüber gab es DVU-Erfolge vor allem in den postfordistischen Abbruchgebieten – also an der durch das Werftensterben heruntergekommenen Nordseeküste (Bremen, Schleswig-Holstein, Hamburg) und in der deindustrialisierten Ost-Zone.

Die Differenz zwischen den früheren Rep-Erfolgen und den aktuellen DVU-Triumphen liegt in der ökonomischen Bedrohung des Proletariats. Im prosperierenden Westen war sie vor der Wiedervereinigung noch schwach, also artikulierte sich der Rechtsradikalismus vor allem bürgerlich, als Wohlstandschauvinismus gegen die Armutsflüchtlinge. Im industriell ausgebrannten Osten tritt die Fremdenfeindlichkeit bei der Wahlentscheidung hingegen zurück: In Sachsen-Anhalt spielte der Themenkomplex Asyl und Ausländer nur für drei Prozent der Wähler eine ausschlaggebende Rolle, selbst unter den DVU-Wählern waren es nur elf Prozent.

Der Hinweis auf den proletarischen Hintergrund des DVU- und NPD-Faschismus wird in der Regel zur Verharmlosung mißbraucht: Von „Protestwählern“ und „Modernisierungsverlierern“ ist dann die Rede. Was bei dieser Argumentation ignoriert wird: Für die proletarischen „Protestwähler“ ist das manische Verlangen nach Arbeit nur eine Chiffrierung von Antisemitismus und Rassismus. Daniel Jonah Goldhagen und andere haben nachgewiesen, wie sich das Gegensatzpaar „arische (christliche) Arbeit“ und „jüdisches Kapital“ in die deutsche Geistesgeschichte eingeschrieben hat – von den Predigten Martin Luthers über die Märchen der Brüder Grimm bis zu den Zinstheorien des Silvio Gesell.

Und weil die mythische Überhöhung der Arbeit in Deutschland auch nach 1945 nicht gebrochen wurde – Wirtschaftswunder im Westen, protestantisch-preußischer Arbeitsethos im Osten –, kann es sich die DVU wie weiland die NSDAP in ihrer Wahlwerbung leisten, wor allem auf den Aspekt „Arbeit her!“ abzuheben und rassistische bzw. antisemitische Parolen nur anzudeuten. Dieser Subtext wird besonders im Osten dennoch kapiert: Jene, die 1990 Kohls Versprechen von „blühenden Landschaften“ auf den Leim gegangen sind und so die CDU zur Wahlgewinnerin gemacht haben, wollen heute nicht der eigenen Verantwortung für ihr Unglück ins Auge sehen. Bei der Frage nach der bösen Macht, die ihre Hoffnungen zerstört hat, bekommen sie bequeme Antworten. Internationales Finanzkapital und Globalisierung – soufflieren die Leitartikel; in der Wallstreet herrscht der Jude – übersetzt der Stammtisch.

Solange Linksparteien wie die SPD und vor allem die PDS – im irrigen Glauben, damit „das Kapital“ und vermeintlich den Faschismus zu bekämpfen – die Propaganda von „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ und die Polemik gegen Spekulantentum und Globalisierung übernehmen, ventilieren sie den Diskurs der Nazis und befördern ihren Aufstieg. Jürgen Elsässer

für die DVU nicht: Regierung, Wirtschaft und m

High-Tech-Zeitalter vergleichsweise gut bewältigt haben. Demgegenüber gab es DVU-Erfolge vor al