Die Koalitionäre pfeifen ihre Sozialwissenschaftler zurück

■ Mißliebiger Bericht der Enquetekommission „Demographischer Wandel“ soll erst nach der Wahl bekanntwerden

Berlin (taz) – Abermals versucht die Bundesregierung, sich vor einem mißliebigen Bericht zu drücken. Traf es erst den Zehnten Jugendbericht, den Familienministerin Nolte nicht veröffentlichen mochte, geht es nun um den Abschlußbericht der Enquetekommission „Demographischer Wandel“. Die Kommission beschäftigt die Frage, welche Auswirkungen die Veränderungen der Altersstruktur und die Einwanderung auf die Bundesrepublik haben. Die Ergebnisse seien der Regierung „zu brisant“, um jetzt veröffentlicht zu werden, sagte SPD-Kommissionsmitglied Arne Fuhrmann zur taz. Nach fast siebenjähriger Arbeit sei die Kommission zur Einschätzung gelangt, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die Kommission, die je zur Hälfte aus Wissenschaftlern und Politikern besteht, wollte zudem prüfen, ob den in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern die hiesige Staatsbürgerschaft zugebilligt werden soll. Mit näherrückendem Wahltermin hätten die Koalitionäre in der Kommission „alles versucht, daß der gemeinsame Abschlußbericht nicht zustande kommt“, sagte Fuhrmann. Nun soll er zwei Tage nach der Bundestagswahl veröffentlicht werden. Eine „schallende Ohrfeige für die Bundesregierung“, befindet Cem Özdemir, migrationspolitischer Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Anders lief es beim Zwischenbericht. Im Juni 1994 prognostizierte die Kommission, daß nach geltendem Staatsbürgerrecht im Jahr 2050 etwa 24,1 Millionen Ausländer in Deutschland leben. Dies verdeutliche, „wie groß in Zukunft der Integrationsbedarf sein wird“. roga