Juden, zurückbleiben bitte!

■ Während der Nazizeit wurde die Bewegungsfreiheit von Juden Stück für Stück eingeschränkt. Eine Ausstellung von Jugendlichen dokumentiert diese Schikanen in einem ausrangierten S-Bahn-Waggon

„Angestarrt werden“ und „Isolation“ steht auf dem S-Bahn-Wagen anstelle der sonst üblichen Graffiti. Der Waggon ist auch nicht auf dem Streckennetz der Berliner S-Bahn unterwegs, sondern steht seit Mai 1998 neben der Ruine des Anhalter Bahnhofs. Der 1928 gefertigte Waggon gehört zu der Baureihe 457, die Ende 1997 ausgemustert wurde. Jetzt beherbergt er die Ausstellungswerkstatt „Für Juden verboten“, die sich mit jüdischem Alltag in Berlin zwischen 1933 und 1945 beschäftigt.

Im Mittelpunkt steht dabei die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit jüdischer Berliner durch nationalsozialistische Gesetze und Verordnungen. Juden wurden Führerscheine und Kfz-Zulassungen entzogen, sie erhielten keine Fahrpreisermäßigungen mehr. Öffentliche Verkehrsmittel durften sie zuerst nur noch beschränkt, ab Mai 1942 gar nicht mehr benutzen. Schließlich mußten sie auch ihre Fahrräder abliefern. Ihr Alltag wurde zunehmend schikaniert.

Franziska Ehricht, die Judaistik und Islamwissenschaften studiert, hatte zusammen mit einer Freundin die Idee zu dem Projekt. „Mit Hilfe des Vereins Miphgasch, der sich für die Verständigung zwischen Leuten aus Deutschland, besonders den neuen Bundesländern, und Israel einsetzt, haben wir in Schulen und jungen Gemeinden Jugendliche angesprochen und dann an der Ausstellung gearbeitet.“ Die 16 bis 18 Jahre alten Jugendlichen besuchten Ausstellungen wie das Haus der Wannseekonferenz und die „Topographie des Terrors“, sammelten Material in Archiven und Bibliotheken und interviewten Zeitzeugen.

„Jizchak Schwersenz ist Ehrenmitglied im Verein Miphgasch. Er war während der Nazizeit in Berlin untergetaucht und Mitglied einer illegalen jüdischen Jugendgruppe“, erzählt Franziska Ehricht. „Den Kontakt zu anderen Zeitzeugen hat das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin vermittelt.“ Teile der Interviews kann man in der Ausstellung hören. So berichtet Schwersenz, wie wichtig die S-Bahn für untergetauchte Juden war. Kalte Winternächte konnte man so wenigstens einigermaßen warm überstehen. Manche Nacht verbrachte er in der Schlange vor der Staatsoper unter den Linden, wo viele Leute anstanden, um am nächsten Morgen noch Karten zu ergattern.

Man sollte sich auch die Zeit nehmen und die Briefe des Berliner Juden Hermann Samter lesen. Ab Juli 1941 beschrieb er darin einer emigrierten Freundin ironisch seinen immer schwieriger werdenden Alltag in Berlin. Ende Juli 1943 wurde der Briefwechsel durch Samters Deportation beendet. Andrea Dech

Die Ausstellung ist bis zum 16. September mittwochs bis samstags von 13 bis 18 Uhr geöffnet, danach sonntags von 11 bis 18 Uhr.