Forschung an Euthanasieopfern

■ Bis 1945 sezierten Hirnforscher in Buch auch Opfer der Nazis

Über dem Eingang prangt, in schöner Bronze, die Büste der Minerva, der Göttin der Künste und der Wissenschaft. Das Oskar-Cécile-Vogt-Haus, ehemaliges Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Hirnforschung, ist das älteste Gebäude des Biomedizinischen Forschungscampus Berlin-Buch. Das Oskar-Cécile-Vogt-Haus aus dem Jahre 1929 hat eine lange und prekäre Geschichte. Über die Forscher, die hier tätig waren, läßt sich in Romanen nachlesen, in „Lenins Gehirn“ (Tilman Spengler) oder in „Der Genetiker“ (Daniil Granin). Benannt ist das Gebäude nach dem Neurologen Oskar Vogt, der unter anderem das Gehirn Lenins sezierte, und nach seiner Frau, der Nervenärztin Cécile Vogt.

Das KWI für Hirnforschung, 1914 gegründet und seit 1930 auf dem Gelände in Buch beheimatet, genoß den Ruf einer Einrichtung von Weltrang. In den 30er Jahren galt es als das größte und modernste Hirnforschungsinstitut. Hier wurde unter anderem ein Elektroenzephalograph zur Messung von Hirnströmen entwickelt. „Einheit von Forschung und Klinik“ war das Prinzip in Buch. Von der benachbarten Robert-Rössle-Klinik, einer ehemaligen Nervenheilanstalt, führte damals ein Verbindungsgang direkt in den Hörsaal der Hirnforscher.

Nach dem Weggang von Vogt 1937 beschäftigte sich die Bucher Hirnforschung verstärkt mit Fragen der Vererbung. Unter dem Pathologen Julius Hallervorden wurden zwischen 1939 und 1945 Gehirne von Euthanasieopfern für die Erforschung der „anatomischen Grundlagen des angeborenen Schwachsinns“ geordert, seziert und als Präparatesammlung aufbewahrt.

Ein Zitat Hallervordens lautet: „Na Menschenskinder, wenn ihr nu die alle umbringt, dann nehmt doch wenigstens mal die Gehirne heraus, so daß das Material verwertet wird.“ Hallervorden bekam sein „Material“, rund 700 Gehirne, zumeist aus den Brandenburgischen Landesanstalten Görden.

„Daß hier Gehirne von Euthanasieopfern untersucht wurden, ist richtig. Aber es ist nicht bewiesen, daß in Buch auch getötet wurde“, sagt der Molekularbiologe Heinz Bielka. Ursprünglich war im Zuge der Sanierungsarbeiten auch ein Mahnmal für die Euthanasieopfer auf dem Gelände geplant. Doch mangels Finanzierungsmöglichkeiten wurde es nicht realisiert.

Historie findet dennoch statt: In zwei Räumen des Hauses will man die Labors von Oskar Vogt und dem russischen Genetiker Timofejew-Ressowski, der von 1925 bis 1945 am Institut arbeitete, nachstellen. Hier wird unter anderem auch ein Mikrotom zu sehen sein, ein Gerät, mit dem Gehirnschnitte angefertigt wurden. Hirnforschung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Oskar-Cécile-Vogt-Haus nicht mehr betrieben. Ab 1947 war in dem Gebäude, angegliedert an die Akademie der Wissenschaften, die Krebsforschung untergebracht. Andrea Roedig