Was bleibt, ist ein Name

„Das war es wert“: Nach der Achtelfinal-Niederlage gegen Patty Schnyder bei den US Open ist in Steffis Welt endgültig nichts mehr, wie es früher einmal war  ■ Aus New York Thomas Hahn

Das Publikum wollte nicht erleben, was bevorstand in dieser schwarzen, schwülen Nacht, die schwer über dem allzu grell ausgeleuchteten Arthur-Ashe-Tennisstadion von New York lag. Und deshalb wünschte es: Gnade für Steffi Graf.

Doch Patty Schnyder, 20 Jahre jung, wohnhaft in Bottmingen in der Schweiz, wollte das Achtelfinale der US Open erreichen. Ganz und gar nicht wollte sie die Gehilfin einer 29jährigen Rückkehrerin sein, deren Geschichte nach Knieoperation und achtmonatiger Wettkampfpause ihr Happy-End sucht. Immer wieder trieb Schnyder ihren Linkshänder-Aufschlag tückisch ins Feld, setzte gezielte Returns und umspielte kompromißlos Grafs gefürchtete Vorhand. Und Graf traf den Ball nicht richtig. Netz, aus, Netz, aus. Die Leute raunten ungläubig, klatschten aufmunternd, riefen flehentlich: „Steffiiie, Steffiiie!“ Zweimal leitete die Netzkante Schläge von Graf noch ins Feld, als wolle auch sie mithelfen, die drohende Niederlage doch zu verhindern. Doch Grafs Schwäche war an diesem Abend stärker. 3:6, 4:5, Aufschlag Schnyder. Graf verschusselte zwei Breakchancen, dann senkte sich ein Rückhandball ins Aus. Trauriger Applaus. Dann packte sie eilig zusammen, winkte noch einmal und verschwand.

Zwanzig Minuten später mußte sie noch einmal auftauchen, bei der Pressekonferenz, was ihr mißfallen mußte. Weil sie sich doch vor allem in den weniger strahlenden Momenten ihrer Karriere von Journalisten immer wieder unsensibel befragt und ungerecht kritisiert fühlte – vor den US Open blockte sie deshalb jeden Interviewwunsch ab; sogar die Einladung zu einer amerikanischen Talkshow, obwohl der Weltverband WTA so etwas gar nicht gerne sieht und sie dafür mit einer Geldstrafe belegte. Jetzt zwang sie sich noch einmal zur Geduld. Sie gab zu: „Ich habe viele leichte Fehler gemacht.“ Lobte ihre Gegnerin und erklärte: „Ich brauche jetzt ein bißchen Abstand.“ Dann war alles überstanden.

Sie muß die Niederlage gegen Schnyder als schmerzlichen Rück- schritt empfunden haben, nachdem sich noch unmittelbar vor den US Open alles wieder ganz prima angelassen hatte. Am Sonntag vor dem letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres hatte sie in New Haven das erste Turnier seit ihrem Comeback gewonnen, und zwar mit brillanten Schlägen gegen die Wimbledonsiegerin Jana Novotna. Wie selbstverständlich zählte man sie danach wieder zu den Favoritinnen auf den Sieg bei den US Open. Daß sie in Runde eins allerhand Mühe hatte gegen die mäßig bekannte Amerikanerin Corina Morariu, nährte zwar Zweifel. Aber dann schoß sie die Deutsche Marlene Weingärtner in 41 und die Kroatin Mirjana Lucic in 42 Minuten ab, und Graf schien wieder auf gerader Spur zu alten Erfolgen.

So ist es aber nicht, das haben die US Open dann doch noch bewiesen. In der Weltrangliste wird Graf zur Zeit auf Rang 26 geführt, und das entspricht wahrscheinlich ziemlich genau ihrer aktuellen Stärke. Wie sie momentan gegen die Besten der jüngeren Generation vorankäme, gegen Martina Hingis, Lindsay Davenport oder Anna Kournikova, kann man derzeit ohnehin nur erahnen. Bevor sie sich mit denen messen konnte, hatten sie 1998 meist schon andere ausgeschaltet. Tauziat, Apelmans, Sugiyama, Serna heißen die Frauen, die sie in diesem Jahr bezwungen haben. Das mögen respektable Spielerinnen sein, aber Graf hätte sie früher mit ein paar gezielten Vorhandschlägen erledigt. Im Juni verlor sie im Viertelfinale von Wimbledon gegen die Russin Natasha Zvereva. Gegen die hat sie einmal in einer guten halben Stunde 6:0, 6:0 gewonnen. 1988 im Finale der French Open von Paris.

Nichts ist mehr wie früher, nur noch der Name, und das macht die Situation für Graf so schwierig. Denn die Öffentlichkeit gibt es ja auch noch, und die sieht in ihr immer noch die überragende Athletin von einst, die 21 Grand-Slam- Titel gewann und insgesamt 374 Wochen ihrer Laufbahn Erste der Weltrangliste war. Niederlagen gegen die Mädchen aus der zweiten Reihe der Elite passen dazu überhaupt nicht.

Und so stellt sich die Frage der vergangenen Monate aufs neue: Warum hechelt Graf noch so verbissen ihrer Vergangenheit hinterher? Wahrscheinlich, weil es keinen anderen Ort gibt, an dem sie sich so sicher fühlt wie innerhalb ihrer kleinen Welt zwischen Netz und Linien. Weil sie dort genau weiß, was zu machen ist, und sie dort am ehesten persönlichen Erfolg findet. Das wäre zwar traurig, weil man sich dann fragen muß, was Graf eigentlich macht, wenn sie eines Tages so alt ist, daß sie gar nicht mehr anders kann als aufzuhören.

Aber es ist schon auffällig, daß ihr vieles, was von außerhalb des Tennisplatzes auf sie einströmte, immer wieder Probleme bereitete. Und zwar nicht nur der Steuerbetrug, für den ihr damals suchtkranker Vater ins Gefängnis mußte. In ihren Werbespots hat sie oft nicht besonders beseelt gewirkt. Und selbst die Begleiterscheinungen ihres Erfolges waren ihr beizeiten eine Last: Vor genau zehn Jahren gewann sie alle vier Grand-Slam- Titel in einem Jahr, was vor ihr nur vier Menschen gelungen war und nach ihr niemanden mehr. Wenn sie jetzt darauf angesprochen wird, sagt sie: „Ich habe das damals gar nicht richtig genießen können, wie ich mir das gewünscht hätte, weil der Druck so groß war.“

Es war wohl kein Zufall, daß sie während der ersten Woche der US Open, mit dem Sieg von New Haven im Gepäck und von den Amerikanern warmherzig empfangen, gelöst und aufgeschlossen wirkte. „Es ist einfach schön, wieder da draußen zu sein“, sagte sie. Die Niederlagen zuvor taten nicht mehr weh. „Mir war mehr als bewußt, daß ich mehrere Niederlagen würde ertragen müssen, aber das war es wert.“ Es klang so, als sei für sie die Rückkehr zu alten Höhen schon geschafft.

Das ist ein Irrtum, Schnyder hat es gezeigt. Aufgeben will Graf trotzdem nicht. „Ich fühle, daß ich viel besser spielen kann“, sagte sie trotzig nach der Niederlage, „ich muß mein Spiel nur immer mehr stabilisieren.“ Und am Schluß hat sie noch kurz Rückschau gehalten, auf die vergangenen Monate: „Manchmal ist es schwierig gewesen, zu akzeptieren, daß es eine gewisse Zeit brauchen wird. Es gab gute und schlechte Momente. Aber im allgemeinen bin ich ziemlich froh, wie es gelaufen ist.“ Sie war ja in ihrer kleinen Welt zwischen Netz und Linien.