Tiefergehende Konflikte an der Basis

Bezirksfraktionen der PDS verlieren weiter Mitglieder. Die Parteibasis reibt sich am fehlenden Gestaltungsspielraum zwischen Verantwortung und Opposition. Der Landesvorstand hält an offenen Listen fest  ■ Von Kathi Seefeld

Noch hat der Bezirksvorsteher von Marzahn, Rüdiger Heise, nicht abschließend darüber befunden, ob es in seiner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) künftig eine Fraktion „Linke Demokratische Liste“ (LDL) geben wird. Doch soviel ist sicher: Innerhalb eines knappen halben Jahres sind bereits vier Mitglieder aus der PDS-Fraktion ausgestiegen.

Sollten die LDL-Gründungsfrauen Jana Biermann und Bettina Kieke die für eine Fraktionsneubildung erforderlichen 50 Unterstützerstimmen bis zum 15. September zusammenbekommen, wird sich Martina Jetschik ihnen anschließen. Jetschik hat als bisher letzte die Marzahner PDS-Fraktion verlassen. Ein weiterer ehemaliger Mitstreiter verabschiedete sich bereits im Juni, will jedoch fraktionslos bleiben. In Marzahn hat die PDS damit noch 18 Stimmen, SPD und CDU verfügen gemeinsam über 19, die Bündnisgrünen über vier Sitze in der BVV.

Personaldebatten, Weggänge und Absplitterungen erfreuen sich bei der Demokratischen Sozialisten in den Bezirken wachsender Beliebtheit. Anfangs wurden sie öffentlich kaum wahrgenommen. So stieß der Austritt des heute 25jährigen Studenten Oliver Numrich, der erst 1993 Parteimitglied geworden war und im Vorjahr, enttäuscht von der „Dominanz der Betonköpfe“, sein Mandat als PDS-Verordneter in Prenzlauer Berg niederlegte, kaum auf Resonanz. Auch der Abschied des Friedrichshainer Verordneten Steffen Zobel, der bereits 1995 die PDS aufgrund eines „aus SED- Zeiten stammenden Politikverständnisses“ verließ, blieb unbeachtet. Erst jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, sorgen die Splitterbewegungen für Bauchschmerzen bei der PDS-Landesspitze.

Eine „Konsultationsgruppe“ aus Landesvorstandsmitgliedern und Kommunalpolitikern, die bei Parteikonflikten Erste Hilfe leisten soll, hat wie Landesvize Udo Wolff gegenüber der taz bestätigte, ausreichend zu tun. In Friedrichshain, wo bereits 1997 zwei junge PDS-Frauen das Weite suchten und eine weitere Verordnete in diesem Jahr zur Fraktionsneugründung Demokratische Linke Liste (DLL) wechselte, wurde versucht, zu vermitteln. Besonders die Bundestagskandidatin Christa Luft bemühte sich erfolglos, die Wogen zu glätten.

In der Auseinandersetzung um die Abwahl der für die PDS angetretenen Baustadträtin von Mitte, Karin Baumert, durch die eigene Fraktion, kam die Hilfe von oben ganz und gar zu spät. „Wir haben“, so Wolff, „von den Problemen erst erfahren, als das Tischtuch zwischen Fraktion, Bezirksvorstand und Stadträtin schon zerschnitten war.“ Und auch in Marzahn haben die Gespräche nicht gefruchtet.

Die Bereitschaft an der PDS- Basis im Interesse einer „geschlossenen Außenwirkung“ zusammenzuhalten, was nicht zusammenpaßt, sinkt. Trotzdem würden die Auseinandersetzungen nicht das Scheitern des Prinzips der „offenen Listen“ bedeuten, meint Udo Wolff. Denn gerade das Beispiel Marzahn zeige, daß Abgrenzungsbestrebungen nicht automatisch von jüngeren, reformbegeisterten Kommunalpolitikern ausgehen. „Dort zogen die zwei Verordneten aus, weil sie die Fraktion für zu linksradikal hielten“, so Wolff. Die beiden Frauen hätten sich demonstrativ hinter PDS-Kulturstadtrat Wolfgang Kieke gestellt. Der hatte mit seiner Entscheidung, der NPD für eine Veranstaltung einen Raum im kommunalen Freizeitforum zur Verfügung zu stellen, heftige Kritik auf sich gezogen und kurz vor einem Abwahlantrag durch die eigene Partei gestanden.

Die Vorgänge in den Bezirken, konstatiert Wolff, offenbarten einen bereits lange schwelenden „tiefergehenden Konflikt“. So sei die PDS bei den letzten Kommunalwahlen „unzureichend auf Mehrheitssituationen vorbereitet“ gewesen. Über Gestaltungsspielräume zwischen politischer Verantwortung und Opposition herrsche bis auf den heutigen Tag Unklarheit. Je mehr die Haushaltsmittel durch den Senat für die Bezirke gekürzt worden seien, um so stärker träten die Probleme zutage. Die Geister schieden sich zwischen denen, die Verwaltungsgehorsam verinnerlicht haben, und denen, die ihre Arbeit als politische Aufgabe verstehen. So werde auch das von der PDS propagierte „gläserne Rathaus“ nur dort umgesetzt, wo Erfolge produziert und die PDS wie in Hellersdorf in der Lage ist, eigene Akzente in der Kommunalpolitik zu setzen.

„Nicht beantwortet“, räumte der stellvertretende Landesvorsitzende außerdem ein, „haben wir die Frage, ob die PDS in der Kommunalpolitik Zielgruppen vertreten oder Interessenvertreterin aller Bürgerinnen und Bürger sein wollen.“ So gerieten beispielsweise Verordnete, die ehemaligen Hausbesetzern nahestünden, automatisch in Konflikt mit denen, die kleine Hauseigentümer als ihre Klientel begreifen.

Die Wähler, hofft der PDS-Landesvorstand, werden sich anläßlich der Bundestagswahlen von den kommunalpolitischen Streitigkeiten nur wenig beeindrucken lassen. Für das Kommunalwahljahr 99 wollen die Demokratischen Sozialisten ein weiteres Zerfasern ihrer Basis jedoch vermeiden. Ob und wie das gelingen kann, will die PDS Anfang nächsten Jahres auf einer kommunalpolitischen Konferenz klären.