Der Präsident, ein Menschenfreund

■ Schweriner Parlament setzt Azubis erst nach der Wahl vor die Tür

Berlin (taz) – Im Schloß zu Schwerin machte sich jüngst jemand schwere Gedanken: Der Präsident des Landtags, Rainer Prachtl, legte seine Stirn in tiefe Sorgenfalten. Was tun mit den drei Azubis, die am 1. September ihre Lehrjahre als Kauffrauen für Bürokommunikation beenden sollten? Ihren Gesellinnenbrief hätten sie in der Tasche. Aber der Landtag müßte die ersten drei Lehrlinge, die er in der parlamentarischen Demokratie ausgebildet hatte, in ebendiese entlassen – ohne Job, und das keine vier Wochen vor der Wahl. Präsident Prachtl hätte das zu verantworten gehabt. Nein.

„Ich habe die Sache im Ältestenrat angesprochen“, berichtet Rainer Prachtl (CDU). Nicht ohne Stolz, denn er hat eine Lösung gefunden. Die Auszubildenden dürfen als Bürokauffrauen bleiben – bis drei Monate nach der Wahl! Die drei jungen Damen, 1995 im Zuge der Ausbildungskampagne im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern eingestellt, sind als Schwangerschaftsvertretungen bis zum Ende des Jahres Beschäftigte der Landtagsverwaltung. Was dann geschieht, weiß keiner. Die Wahlen am 27. September, in Mecklenburg-Vorpommern wie im Bund, sind jedenfalls vorbei.

Das Schloß in Schwerin ist eigentlich das Parlamentsgebäude Mecklenburg-Vorpommerns. Dennoch herrschen dort in etwa so feudale Verhältnisse wie auf dem Arbeitsmarkt, in den Zeiten extremer Arbeitslosigkeit. Jeder Arbeitgeber ist dann ein kleiner König. 28.000 jugendliche Schulabgänger sind auf Lehrstellensuche in Mecklenburg und Vorpommern, im Angebot waren Ende August lediglich 14.700 Stellen. Eine ungute Situation, deren statistische Bereinigung sich in der Regel bis in den Januar, Februar hinzieht. Dann haben die Jugendlichen Platz gefunden in einem der Sonderprogramme – oder die Teens haben die Nase voll, gehen nicht mehr zum Arbeitsamt und werden also nicht mehr gezählt.

Ob sich Landtagspräsident Prachtl möglicherweise von seinem Parteifreund Norbert Blüm anregen ließ? Der Bundesarbeitsminister hat jedenfalls den Etat für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) so geschickt zu Beginn des Jahres aufgestockt, daß sich der Arbeitsmarkt Ost pünktlich zum Wahltermin spürbar entspannte. „Ich würde den Zusammenhang mit dem Wahltermin nicht herstellen“, entschuldigt sich Präsident Prachtl gewunden. Schließlich seien die Lehrlinge 1995 eingestellt worden, und da habe der Wahltermin noch in weiter Ferne gelegen.

Im Landtag reagiert man auf derlei Ausreden nur noch ironisch: Prachtl gewähre die Stellenverlängerung aus „reinster Menschenfreundlichkeit“. Christian Füller