„Schreib bloß was Positives“

■ Oh Zeichen, oh Wunder: Selbst Punks tanzten während des großartigen Konzerts der „Cherry Poppin' Daddies“ im Moments Gesellschaftstänze

Wieso tanzen Menschen zum Sound einer Waschmaschine? Für Steve Perry, Kopf der „Cherry Poppin' Daddies“, ein unerklärliches Phänomen. Denn Waschmaschinensound sei doch unbezweifelbar „really bad“. Und nur, weil man dieses seelenlose Getöse nicht Waschmaschino, sondern „Techno“ nennt, sei das doch kein Grund, dazu zu tanzen.

Die Cherry Poppin' Daddies, der Eindruck drängt sich da quasi von allein auf, spielen wohl eher keinen Techno. Aber wie will man das nennen, was die achtköpfige Band einem begeisterten Publikum im Moments präsentierte? „High-Energy-Punkrock-Swing-Music“ schlägt Perry vor. Was in etwa hinkommt, läßt man Rock'n'Roll, Ska, Bebop, Dixieland und noch etwa 23 andere musikalische Stile außen vor, die fortwährend durch die Stücke der Daddies geisterten.

Zumindest gilt die Band in den USA als Aushängeschild des sogenannten „Swing-Revivals“. 1989, als Perry die Band ins Leben rief, war Swing allerdings noch so angesagt wie heutzutage des Ex-Bundesbertis raumorientierte Gegnerdeckung. Doch Perry langweilten die drei ewig gleichen Akkorde, mit denen er sich zuvor als Punkrocker herumgeschlagen hatte. Und ihn faszinierte handwerklich gute Tanzmusik, die Harmonien eines Ellington und die musikalischen Möglichkeiten einer vielköpfigen Band mit Bläsern. High-Energy-Punkrock-Swing-Music war geboren.

Muß man erwähnen, daß während der ersten Konzerte Leute reihenweise aus dem Saal liefen? Muß man nicht. Seit zwei Jahren jedenfalls strömen sie in die entgegengesetzte Richtung und machen, zumindest in den USA, zwischendurch auch halt in Plattenläden, um die erste Daddie-Single „Zoot Suit Riot“ zu erwerben. Eine Million Mal verkaufte sich die Scheibe innerhalb weniger Monate und erlaubt der permanent auftretenden Band erstmals seit ihrem Bestehen, während der Tourneen in Hotels und nicht mehr auf dem Fußboden bei irgendwelchen alten Bekannten zu schlafen.

Von der Swinghype ist Europa noch nicht erfaßt, so daß der Auftritt im Moments auf ein zwar neugieriges, aber auch reserviertes Publikum traf. Während der ersten Stücke wippte allenfalls die erste Reihe anerkennend mit dem Fuß. Doch schon bald hüpfte der ganze Saal.

Erstaunliche Dinge boten sich dem Auge dar: Schon mal Punks Jive tanzen gesehen? Im Moments keine Seltenheit. Auch die Ü45-Fraktion hatte den Weg ins Daddies-Konzert gefunden und schwang in vorderster Front heftig das Tanzbein. Und selbst die Hüftsteifesten konnten nicht umhin, ihre Beckenknochen im atemlosen Rhythmus der Cherry Poppin' Daddies knackend gegen das Becken des Nachbarn zu stoßen. Die phantastische dreiköpfige Bläsersektion fönte derweil mit knochentrockenen Riffs der Windstärke 10 die verschwitzten Leiber, während Frontman Perry im schlecht sitzenden Nadelstreifenanzug bewies, daß zwei Quadratmeter Platz genügen, um gleichzeitig als schmieriger Entertainerpersiflierer, Tänzer und Sänger zu glänzen.

Daß die Daddies es zudem vermieden, jene grausamen swingtypischen „Hey Baby, let's go to drink a Martini“-Lyrics oder Refrains à la „Baby baby, wan't you be my lady“ rauszublasen, ist Perrys Punkrockvergangenheit geschuldet. Wieso Tanzmusiktexte sich in ihrem intellektuellen Niveau auf der Höhe der Grasnarbe bewegen müssen, findet Perry völlig rätselhaft. Schließlich, mutmaßt er, tanzten die Leute in der Regel nicht mit den Ohren und trampelten währenddessen auch nicht auf ihrem Gehirn herum. Und man muß in der Tat kein Punkrocker sein, um am ganzen Körper zu shaken und zugleich bissige Lieder über familiäre Gewalt, das verlogene Musikbusiness und die Widersprüche einer Klassengesellschaft zu singen.

Gegen Ende des Konzerts näherte sich mir ein Besucher vom Typ „1,90 Meter hoch, breit und dick“ und wies mit Nachdruck darauf hin: „Schreib bloß was Positives.“ Gemeinhin beschleicht mich in Anwesenheit solcher eindrucksvoll schlagkräftigen Zeitgenossen das Gefühl, ich sollte im Interesse meiner lückenlosen Zahnreihe nicht so tun, als sei ich in besagter Sache unbedingt ganz anderer Meinung. Desto glücklicher der Augenblick, wo es derartiger freundlicher Anregungen gar nicht bedarf, um dennoch voll des Lobes zu sein. Das Konzert im Moments klang mindestens eine Stunde so, als sei man Zeuge einer jener raren Momente, in denen ein neues musikalisches Zeitalter beginnt. Und die restlichen dreißig Minuten klangen immerhin noch so, als seien die Cherrie Poppin' Daddies die begabtesten Epigonen ihrer selbst. Was kann man mehr verlangen auf Erden? Großartig!

Franco Zotta