Tschernomyrdins Notprogramm

■ Unternehmen müssen Steuern an Zentralbank abführen, Energiekonzerne ihre Steuern in Devisen zahlen. Rubelkurs steigt

Moskau (taz) – Während das Zerren um seinen Posten andauert, verkündete Rußlands amtierender Ministerpräsident Tschernomyrdin am Dienstagabend wirtschafliche Notmaßnahmen, um die krisengebeutelte Staatskasse anzufüllen. Die 50 größten Firmen des Landes haben ihre Steuern ab heute direkt an die Zentralbank oder an drei andere staatliche Banken abzuführen. Dem Gasmonopolisten Gasprom und 14 Ölförderunternehmen soll ermöglicht werden, ihre Steuern in Devisen abzugleichen.

Der Ölkonzern Rosneft kündigte daraufhin gestern schon mal an, daß sein Gewinn vor Steuern auf 74 Millionen Rubel (gestern: 6,1 Millionen Mark) in der ersten Jahreshälfte geschrumpft sei. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte der Staatskonzern noch 557 Millionen Rubel eingenommen. Schuld seien der Verfall der Ölpreise und hohe Kreditkosten. Rosnefts Schulden sind außerdem um 1,97 Milliarden auf 7,24 Milliarden Rubel gestiegen. Rußland versucht bereits seit Frühjahr, Rosneft zu verkaufen. Der Verkauf war gescheitert, obwohl die Regierung den Preis für den Konzern mehrfach gesenkt hatte.

Tschernomyrdin will mit seinen Notmaßnahmen gleichzeitig den Ölexport durch geringere Gewerbesteuern beschleunigen. Um den Rubel zu stützen, sollen zukünftig 50 Prozent aller Exporteinnahmen an den heimischen Geldmärkten konvertiert werden und Mechanismen der staatlichen Intervention auf dem Geldmarkt erdacht werden. Nachdem der Rubel in den vergangenen drei Wochen täglich gefallen war, stieg der Kurs gestern zum Dollar wieder leicht an. An der Moskauer Devisenbörse mußten die Händler zum Schluß nur 17,2 Rubel für einen Dollar zahlen. Am Vortag lag der Kurs bei mehr als 20 Rubel. Die kleine Stärkung hatten die Zentralbank und Banken ihrer Währung verschafft. Bei letzteren haben sich die Bestände an Rubel aufgebraucht, da Russen ihr Geld lieber zu Hause behalten.

Valuta erhofft sich Tschernomyrdin durch vermehrte Zolleinnahmen. Insbesondere das florierende Schmuggelwesen von Alkohol und Tabak soll durch die Vergabe von Lizenzen an wenige marktbeherrschende Unternehmen unterbunden werden. Des weiteren entwarf Tschernomyrdins Kabinett Präsidialerlasse, nach denen laufende Bauvorhaben ab sofort besteuert werden. Zudem soll öffentliches Land an Privatpersonen abgegeben werden. Gegen Wucherei und Krisenspekulanten will er ebenfalls vorgehen. In Rußland werden Importwaren teilweise zum Fünffachen ihres Vormonatspreises gehandelt, und auch russische Produkte sind bis zu 100 Prozent teurer geworden. Ab Donnerstag wird die Regierung vermummte Kalaschnikovbeamte der Steuerpolizei zu den wuchernden Einzelhändlern schicken.

Tschernomyrdin versucht, mit dem Programm sein Image des harten Nationalökonomen zu bedienen. Die Staatsrücklagen werden mit nur 12,7 Milliarden Dollar beziffert, 6 Milliarden Dollar Steuern wird der Fiskus bis Ende des Jahres einnehmen. Tschernomyrdins ökonomischer Schlingerkurs zwischen Rubelstützung und Notenpresse, um die ausstehenden Gehälter zu bezahlen, wird ihm kaum Punkte bei der Wiederwahl einbringen. Denn nur neun Prozent der Russen sprechen sich für seine Kandidatur aus. Karsten Gravert