„Klein-Klein“ kommt groß raus

■ Hans-Joachim Klein, der sich vor über 20 Jahren vom bewaffneten Kampf lossagte und abtauchte, war längst in Vergessenheit geraten. Der frühere Komplize des Topterroristen Carlos hatte seine Beteiligung am Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien in mehreren Interviews eingestanden. Das Leben im Exil, zuletzt in Frankreich, bekam ihm nicht. Aber eine Rückkehr in die Bundesrepublik kam nicht in Frage.

Zimperlich war man ja nicht bei den Revolutionären Zellen, auch untereinander nicht. Hämisch überschrieben die Militanten ihren Text über den Deserteur des Bewaffneten Kampfes mit der Zeile: „Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.“ Der Hund, das war ohne jeden Zweifel der Fahnenflüchtige. „HJK ist für die Guerilla weltweit ein Problem“, hieß es in dem Schreiben, und gemeint war der frühere Genosse, der Frankfurter Hans-Joachim Klein. Der sei ein Problem, „nicht weil er sich politisch getrennt hat; das kann jeder, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt wird. Er ist ein Problem, weil die Art seines Aussteigens die Befürchtung begründet, daß er auch vor dem Verrat konkreter Einzelheiten, Strukturen, Treffpunkte, Namen nicht zurückschreckt.“

Klein hätte in der Tat einiges berichten können – schließlich gehörte er dem Terrorkommando an, das am 21.Dezember 1975 in Wien die Opec-Konferenz überfallen hatte.

Hans-Joachim Klein hatte sich abgesetzt, Anfang 1977, vor nunmehr beinahe 22 Jahren. Der Guerillero, der von seinen Freunden „Klein-Klein“ genannt wurde, war gerade von einer schweren Schußverletzung genesen. Ein Querschläger hatte ihn bei dem spektakulären Überfall auf die Konferenz der erdölexportierenden Länder (Opec) schwer verletzt. Drei Menschen waren im Verlauf des überaus brutalen Überfalls erschossen worden. Einer davon war ein unbewaffneter libyscher Opec- Mitarbeiter. Der hatte versucht, dem Anführer des Kommandos, Carlos, die Maschinenpistole zu entreißen. Carlos schoß ihm in die Schulter, dann schoß er dem verletzten und wehrlosen Libyer den Rest des Magazins in den Körper. Das Kommando nahm elf Minister als Geiseln, entführte sie mit einem Flugzeug nach Algerien und ließ sie dort gegen Lösegeld wieder frei.

Kleins Karriere im linksradikalen Lager war nicht untypisch: Mitarbeit in der Roten Hilfe, Betreuung politischer Gefangener, Hausbesetzungen und kleinere Überfälle zur Geldbeschaffung. Bekannt wurde der Frankfurter einer breiten Öffentlichekit aber erst, als er den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre zu einem Treffen mit den Inhaftierten der Rote Armee Fraktion in Stuttgart-Stammheim chauffierte.

Seinen Ausstieg aus dem bewaffneten Kampf dokumentierte Hans-Joachim Klein 17 Monate nach dem Opec-Überfall in einem Brief an den Spiegel. Die Redakteure dürften beim Öffnen des Paketes einigermaßen verblüfft gewesen sein, hatte „Klein-Klein“ doch als Anlage einen Revolver nebst Munition beigefügt. Und um die Echtheit des Schreibens zu belegen, hatte er den maschinegeschriebenen Text mit seinen Fingerabdrücken abgestempelt. Unter anderem erklärte Klein: „Ich bin kein Mörder. Ich habe keinen einzigen Menschen umgebracht – nicht einmal auf einen geschossen.“ Er räumte aber ein, „daß in Wien nicht nur ein getöteter irakischer Sicherheitsbeamter von uns zurückgelassen wurde, sondern zwei weitere Menschen dort ihr Leben lassen mußten. Wie sich herausstellte, ohne jeglichen Grund, völlig sinnlos.“ Wenig später veröffentlichte Klein dann ein Buch mit dem Titel „Rückkehr zur Menschlichkeit“. Es war eine gründliche Abrechnung mit der Politik der Revolutionären Zellen.

Mit dem Bruch mit der Guerilla begann für Klein die Zeit der Flucht und des Versteckens. Und die endete am Dienstag nach 22 Jahren in der einzigen Kneipe des 327-Seelen-Dorfes Sainte Honorine La Guillaume in der Normandie. Der 51jährige wurde gegen 18 Uhr festgenommen, als er wie so häufig am frühen Abend einen Aperitif zu sich nahm. Als Dirk Clausen war er den Dorfbewohnern bekannt, er stand am Tresen, als ein Sonderkommando der französischen Antiterroreinheit DNAT auftauchte und ihm Handschellen anlegte. „Er war unbewaffnet und hat keinerlei Widerstand geleistet“, zitiert die Nachrichtenagentur AFP den Sohn des Wirtes. Den unauffälligen Deutschen, der seit fünf Jahren allein in einem etwas abseits gelegenen Haus wohnte, kannten alle.

Über Umwege, auf den Pfaden der internationalen Solidarität, war Klein ein Vierteljahrhundert zuvor aus der linken Frankfurter Szene, in der damals auch ein gewisser Joschka Fischer zu den Bekannten Kleins zählte, in die Terrorgruppe des Venezolaners Ilich Ramirez Sánchez – besser bekannt als Carlos – geraten. Der Venezolaner brachte es zum meistgesuchten Terroristen der Welt, Klein geriet, von einigen Interviews abgesehen, schon bald in Vergessenheit. Ab und an gab es Meldungen, wonach Klein gesehen worden sein soll. Mal hieß es, er halte sich in Algerien auf, mal soll es ein israelischer Kibbuz gewesen sein, auch die Niederlande wurden genannt. Offenbar lebte Klein aber seit Jahren in Frankreich.

„Nach Sainte Honorine kam er 1993“, berichtet Bürgermeister Serge Clairembaux. „Davor hatte er einige Jahre weiter oben im französischen Norden gelebt.“ „Clausen“ gab sich als freier Journalist aus, der für deutsche Zeitungen arbeite. „Er war immer dabei, wenn es bei uns etwas zu feiern gab, wie beim letzten Dorffest im August“, sagt der Bürgermeister.

Mehrfach hat Klein versucht, in die Bundesrepublik zurückzukehren. Er nahm unter anderem Kontakt mit dem Aussteigerprogramm des Kölner Verfassungsschutzes auf. Der dort zuständige Beamte mit dem Decknamen „Benz“ recherchierte, mit welchem Strafmaß der Rückkehrwillige wohl zu rechnen habe. Lebenslang, hieß die Antwort der Strafverfolger. Klein verzichtete daraufhin auf eine Rückkehr.

Das Leben im Exil bekam Klein aber nicht. Einer Reporterin des Stern vertraute er im Herbst 1992 an: „Ich habe zweimal meinen Selbstmord vorbereitet, aber es doch sein lassen, wegen der Kinder... Ich würde gern zurückkommen. Aber man wirft mir Beihilfe zum Mord vor, weil ich ja Teil des Opec-Kommandos war. Jeder weiß, daß ich niemanden verletzt habe, sondern selbst schwer verwundet wurde. Und in ein Gefängnis will ich auf keinen Fall. Das würde ich in meiner Verfassung nicht aushalten.“ Doch darauf wird die Justiz wenig Rücksicht nehmen. Wolfgang Gast

–Stammheim chauffierte.

Seinen Ausstieg aus dem bewaffneten Kampf

Revolutionären Zellen.

Mit dem Bruch mit der Guerilla begann für Klein die Zeit der Flucht u