■ Hoffen auf bessere Zeiten: Feminismus auf Krankenschein
Ohne einen Ursprungsmythos kommt wohl keine Religion aus. Im Fall der (west)deutschen Frauenbewegung hat man sich für einen Tomatenwurf der SDSlerin Sigrid Rüger entschieden. Seither wird alle zehn Jahre gefragt: Was hat die Frauenbewegung erreicht? Und gleich danach: Warum bleibt der Nachwuchs aus, der die Fackel weiterträgt? Oder die Tomate?
Die Frauenbewegung gehört zu den politischen Jugendbewegungen der siebziger Jahre und ist den K-Gruppen vergleichbar. Hier wie dort sammelten sich junge Leute mit schwachen bis starken Glaubens- und Erlösungsbedürfnissen. Manchen ist es bis heute nicht geglückt, Biographie, Gesellschaftskritik und Dogmatik zu sondern. Die meisten allerdings schauen schon lange auf ihre Lehrjahre in der Frauenbewegung mit Rührung zurück.
Wenn ich meine Freundin Korinna, die zehn Jahre jünger ist als ich, die ich nicht mitgemacht habe, nach ihren Erfahrungen befrage, dann hört sich das alles so an wie ein wichtiges politisches Praktikum. Danach beginnt das richtige Leben... Die Anlässe, die Bewegung zu verlassen, waren unterschiedlich. Die einen machten Karriere, heirateten und kriegten Kinder, die anderen konnten ihre Bedürfnisse nach moralischer und politischer Ich-Synthese mit den dogmatischen und autoritären Entwicklungen der Frauenbewegung nicht auf Dauer versöhnen.
Meine Freundin etwa nahm Anstoß an der Arroganz, mit der die bürgerlichen Studentinnen sich anmaßten, den Prolomädchen ihr Leben zu erklären. Die Neigung, für andere das Beste zu wollen – auch gegen ihren erklärten Willen –, ist der Frauenbewegung, die sich zur Frauenpolitik im Rahmen einer Repräsentation ohne Legitimation verengt und verhärtet hat, nicht nur geblieben – bei der Frauenbevormundung hat man es immer noch mit einer Wachstumsbranche zu tun.
Seinerzeit, in den Siebzigern, wurde die Anrede „Fräulein“ plötzlich tabuisiert, wurden Sechzehnjährige endlich als „Frauen“ betrachtet. Das war eine feministisch korrekte Entdifferenzierung der condition féminine, reaktionär, wie jede Entdifferenzierung nun einmal ist. Aber das nur am Rande. Über die Frauenbewegung als Jugendbewegung brauchten wir nicht zu urteilen – solche Erscheinungen erledigen sich gewöhnlich von selbst mit dem Aufkommen neuer, ebenso verrückter und innovativer Ideen. Und dem Älterwerden. Nun hat sich aber die Frauenbewegung mit einer Serie von face-liftings jugendfrisch halten wollen. Das Wegbrechen der weiblichen Massenbasis wurde durch Lobbypolitik und Erfolge in den Massenmedien spätestens seit Ende der siebziger Jahre kompensiert. Wie war das möglich?
Die Frauenbewegung war und ist in ihren Resten als „Politik für Frauen“ (vulgo Staatsfeminismus) eine Angelegenheit der akademisch qualifizierten Mittelklasse. Ihr Problembewußtsein reichte nur zur Etablierung einer Beschwerdekultur, mit den Männern als Adressaten und Papa Staat als Medizinmann. Daß die Gleichberechtigung bloß ein Papiertiger ist und Frauen (wie Kinder) nach wie vor hilfs- und schutzbedürftig sind, ist eine Idee, die Männern so lieb ist wie den Frauen teuer, die sie primär im öffentlichen Dienst umsetzen. Kein Selbstverteidigungskurs für Mädchen, kein Rhetorikseminar für Frauen kann die falsche Weichenstellung korrigieren, die bis heute die Einsicht verhindert, daß Frauen nach der Gleichberechtigung Probleme haben, die sich nicht mit dem Stichwort „Benachteiligung“ beschreiben lassen. Schon die Studentinnen von 1968 waren nicht benachteiligt, sondern von einer Freiheit gefordert, für die es in der Geschichte kein Beispiel gibt. Statt hier anzusetzen, hat man das überholte Modell der ewig nörgelnden Ehefrau auf Politikformat gepustet und wundert sich nun, daß es in Prozentzahlen an Chefs, Profs, Dirigenten und Präsidenten so gut wie nichts gebracht hat. Oder daß junge, gleichberechtigt erzogene Frauen von der Idee der Quote abgestoßen sind. Oder sich nicht melden, wenn wieder einmal ein Forschungsprojekt zur Erfassung der „sexuellen Gewalt“ oder „Belästigung am Arbeitsplatz“ aufgelegt wird.
Damit bin ich beim Scheinleben der Frauenfrage in den Medien, das dank deren Obsession mit Skandalen aller Art als ein durchaus blühendes zu bezeichnen ist. Die Frauenbewegung und die Frauen, die da übriggeblieben sind, haben an diesem Medienzauber Anteil und profitieren von ihm. Am Anfang standen abenteuerliche Behauptungen über die alltägliche sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen, es folgten Projekte aller Art und bis heute reihenweise Politikerinnen, die sich gern engagiert dazu äußerten, weil sie so leicht nie in den Genuß lebensnotwendiger Publicity kamen ...
Ein Karussell fing an sich zu drehen, von dem abzuspringen niemand mehr den Mut hat. Es kam zu einigen problematischen Änderungen im Sexualstrafrecht und zur Rückkehr von „Tante Elfriede“, den Frauen, die überall sexuellen Unrat wittern. Vielleicht verdanken wir den bösen Erfahrungen aus der Nazizeit, daß dennoch die sexuelle Denunziation nicht im großen Maßstab als Mittel der Politik zurückgekehrt ist. Schlecht wird mir trotzdem bei der Erinnerung an die überflüssigen Tragödien, die durch eine falsche, aber opportune Kodierung privater Probleme mit dem Stempel sexuelle Gewalt zustande gekommen sind. Das Persönliche ist politisch? Leider, möchte ich schließen. Und hoffe auf bessere Zeiten. Katharina Rutschky
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