■ Was immer noch fehlt: materielle Gleichheit von Mann und Frau
: Keine Geschlechterdemokratie in Sicht

Das sind sozial miserable Zeiten, wo Kultur und Politik aufeinander „fortschrittlich“ zu verzichten meinen. Das war 1968 anders. Die uniformierte Nachkriegsgesellschaft war der „Hinterfragung“ ihrer Jugend ausgesetzt und die Popkultur rock'n'rollte den Traum von einer Sache, die „satisfaction“ und Emanzipation versprach. Daß die Frauen auch revolutionär ihren Alltag verändern wollten, um sich von dem verkochten und verbügelten Leben ihrer Mütter zu distanzieren, war eine neue Disziplin, um sich andere Leidenschaften zu ermöglichen.

Der SDS-Delegiertenkongreß vor dreißig Jahren, wo die Filmemacherin Helke Sander die erste öffentliche Grundsatzrede zur Kinderfrage einer revolutionären Bewegung hielt, ist als Beginn der zweiten neuen deutschen Frauenbewegung erinnerungswürdig. Die Rede, die die Genossen weder hören noch diskutieren wollten, bekamen sie aber zu spüren, als die hochschwangere Sigrid Rüger jene Tomate warf, die die theorieversessenen Männer praktisch entthronte.

Es war ein Glücksfall deutscher Emanzipationsgeschichte. Man kann nur hoffen, daß sich das bewegungsdynamisch so oft wiederholen möge, wie es nötig ist. Daß die Tomate einen Falschen traf, wie die SDSlerin Ines Lehmann meinte, nötigte sie zu einer solidarischen Inschutznahme von Hans-Jürgen Krahl, was wiederum Hazel Rosenstrauch veranlaßte, die erste spontan-feministische Verteidigungsrede aus dem Stehgreif zu halten.

Von all den Frauen, die damals dabei waren, erfährt man, wie selbstverständlich sexistisch die Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern im SDS organisiert war und wie akzeptiert sie schien. Daß dabei die Revolutionierung des Individuums oder gar der Gesellschaft fehlschlug, mag heute nicht mehr wundern.

Wie befreiend dagegen die unabgesprochene Interaktion des historischen Quartetts Helke Sander, Sigrid Rüger (1939–1995), Ines Lehmann und Hazel Rosenstrauch auf die Schweigenden im SDS gewirkt hat, zeigen die vielen Frauen, die danach in eigener Sache aktiv wurden.

Dreißig Jahre später, in forschungsaufwendigen Achtundsechziger-Nachlesen aus der Linken, ist viel von Magie und Scheitern der Achtundsechziger die Rede. Kaum einer der erinnernden Genossen mag aber auch ihre Befreiung aus der leninistisch geborgten Heroenpose dank der Frauenbewegung öffentlich würdigen. Das finde ich bedenklich und gar nicht mehr komisch, wenn ich daran denke, wie die Mittelvergabe zur Bewahrung der jüngsten Geschichte von und nach 1968 bereits praktiziert wurde. Wenn es stimmt, daß die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, dann sieht es für die zweite, neue Frauenbewegung wieder einmal nicht gut aus.

Jüngere werden lernen, daß es außer Uschi Obermeier und Ulrike Meinhof bei den Bilder- und Meinungsmachern über die Achtundsechzigerinnen keine weiteren Erkenntnisse gab. Sie blieben die namenlosen „Bräute der Revolte“, wie Michael Ruetz 1968 schrieb. Wolfgang Kraushaar, der jüngst 1968 dreibändig historisiert hat, weiß in seinem Nachwort zur Demokratisierung der deutschen Gesellschaft über die damals einsetzende Frauenbewegung nichts zu berichten.

Ob die Frauenbewegung dreißig Jahre nach dem Tomatenwurf noch gebraucht wird, bleibt die Frage. Die theoretische Bearbeitung der feministischen Kritik und die Analysen der Frauenforschung füllen mittlerweile Literaturhalden. Zu skandalisieren ist die Empörung auf der Straße kaum noch. Obwohl, und das ist beinahe unglaublich: Die anhaltende Statistik der trübsinnig bekannten Ungleichheit zwischen den Geschlechtern entspricht nicht mehr dem veränderten Bewußtsein und Wunsch der Beteiligten nach Gleichheit, nur ändert das nicht die Statistik der Differenz. Geändert hat sich das öffentliche Benehmen und die Rhetorik zwischen den Geschlechtern, die auch vielerorts im Privaten ihre zivilisatorische Wirkung entfaltet hat. Eine partielle Zivilisierung der Gesellschaft gegen eine als natürlich verstandene patriarchale Verfügungsgewalt ist der Frauenbewegung durch die Antigewaltdebatte zu verdanken. Was immer noch fehlt, ist eine materielle Festigung des Bewußtseins zur Geschlechterdemokratie. Wie ignorant sich etablierte PolitikerInnen zu den Erfordernissen der Geschlechterdemokratie verhalten, demonstriert aufs peinlichste dieser Bundestagswahlkampf. Eine sozial idiotisierte, global palavernde Gewinnerallianz hat sich die Topassistenz von professionellen Frauen für das soziale „Gedönse“ (Kanzlerkandidat Schröder) quotengesichert. Topmänner reden, wie gehabt innovativ, von Markt, Macht, Moneten.

Die dringend auch international zur Lösung anstehende Frauen-Männer-Kinderfrage würde eine Frauenbewegung erfordern, die die Statistik der sozialen Deklassierung nach „unten“ auch „oben“ nicht akzeptiert wie auch nicht das Soziale als Weiberkram. Daß Männer als Väter, Partner oder Freunde sich mehrheitlich immer noch liebend auf diese Asymmetrie verlassen, zeigt ihre Politik. Nach der Kinderei ist es für die meisten Frauen zu kompliziert, sich der Zumutungen privat und politisch zu erwehren. Kinderlose Feministinnen werden zunehmend bezichtigt, sich dieses Schicksal erspart zu haben. Als ob es die Bestimmung der Frauen wäre, die Männer vor Kindern zu schützen! Wer das in Ordnung findet, soll sich über die Männerwirtschaft nicht wundern, wem das nicht gefällt, sollte sich auch heute am Feminismus erfreuen. Halina Bendkowski

Die Autorin, 49 Jahre, arbeitet als Soziologin in Berlin. Sie gilt als Erfinderin der „Geschlechterdemokratie“.