Bremen am Ende – verkauft an Köllmann und McKinsey

Das Sanierungsgeld ist aufgezehrt, die kommunalen Betriebe verscherbelt – Bremen hat nicht die geringste Chance  ■ Von Robert Bücking

Daß die Bremer Wirtschaft und mit ihr der ganze Stadtkörper einen tiefgreifenden und krisenhaften Strukturwandel durchläuft, liegt auf der Hand. Daß der Schuldenberg die Aufstellung eines ordentlichen Haushalts für den Stadtstaat unmöglich gemacht hat, ebenfalls.

Ein Kerngedanke des Sanierungsprogramms ist: Die Staatskrise und die Stadtkrise haben die gleichen Ursachen, sie sollen auch in die gleiche Richtung aufgelöst werden. Die großen Projekte des Sanierungsprogramms sind die alles dominierenden Impulse der Stadtentwicklung. Je mehr Erfahrungen wir nun aber mit diesem Konzept haben, desto deutlicher wird: Stadt und Wirtschaft zu entwickeln ist das eine, Steuerquellen zu erschließen das andere. Wer die Stadt für den Staat zurichtet, wird beiden keinen Gefallen tun.

Rekapitulieren wir kurz.

Die Sanierungsmilliarden sollen den Strukturwandel der Bremer Wirtschaft ermöglichen und beschleunigen und bei dieser Gelegenheit einen besonderen Boom auslösen. Der Boom soll der Stadt ein Wirtschaftswachstum bescheren, das über viele Jahre weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. So sollen die Arbeitsplatzverluste aus dem Niedergang der alten Industrien nicht nur ausgeglichen, sondern ein Wachstum um 40.000 erreicht werden. Der Boom soll die Stadt so attraktiv machen, daß sie gegen alle Trends 50.000 neue Bürger gewinnt, natürlich solvente Steuerzahler und keine Sozialhilfeempfänger. Für diese Ziele werden Gewerbeflächen, Wohnbauflächen und Verkehrsinfrastruktur dimensioniert und hergerichtet. Im Ergebnis soll dann die Steuerkraft der Stadt wieder den Staatshaushalt decken können. Die zentralen Parameter der Stadtentwicklung wurden in den letzten Jahren aus ihrer Bindung an die realen Trends gelöst und den Wunschzielen der Sanierungspolitik untergeordnet.

Nach den ersten paar Jahren Politik unter Sanierungsbedingungen kann man festhalten: Diese Ziele werden verfehlt. Der Strukturwandel vernichtet auch industrielle Kerne, auf deren Entwicklung die Sanierungspolitik große Hoffnungen gesetzt hat (Vulkan / Eduscho). Die Abwanderung der wohlhabenden Bevölkerung ins Umland ist ungebrochen, die Armutskosten bleiben exorbitant, die Arbeitslosigkeit liegt wie ein Mühlstein auf den Schultern der Stadt- unbeweglich, teuer und demoralisierend. Die neuen Abteilungen der Wirtschaft wachsen zu langsam, und für den lang anhaltenden Boom fehlen die Grundlagen. Was wächst und zu Hoffnung Anlaß gibt, ist die Produktivität der Bremer Wirtschaft. Aber der Rückstand ist immer noch zu groß und das Tempo gering. Die Rationalisierung stärkt die Wettbewerbsfähigkeit, kostet aber im gleichen Atemzug einstweilen weitere Arbeitsplätze. Kurz: Das gute Geld aus Bonn trägt dazu bei, daß die Bremer Wirtschaft eine Chance auf Anschluß an die bundesrepublikanischen Durchschnittswerte hat. Aber ein Wachstum, das ausreichen könnte, die Staatskrise zu überwinden, ist in dieser gebeutelten Stadt, in dieser schwachen Region, am Rande der europäischen Zentren mit 9 oder 15 Milliarden für den Bremer Haushalt nicht zu machen.

Es wurde aber nicht nur das schöne Bonner Geld aufgezehrt, sondern auch fast alles, was aus dem Bremer Staatsvermögen zu Geld gemacht werden kann, ausverkauft (Stadtwerke, Bremer Entsorgungsbetriebe, Wohnungsbau- Unternehmen.)

Ein bestimmter Teil der Bremer Infrastruktur und ein bestimmter Teil der öffentlichen und halböffentlichen Gebäude wird nach dem Verbrauch der Sanierungsmilliarden in einem guten Zustand sein. Andere Bereiche, die zur Grundausstattung jeder Stadt gehören, aber die Förderkriterien nicht erfüllen und aus dem normalen Haushalt unterhalten werden müssen, werden bis zur Schädigung der Substanz bespart. So droht, trotz aller ehrenwerten Buchungstricks, Sonderfonds und Schattenhaushalte, ein Rückstau unerläßlicher Investitionen, die als Lawine die Haushalte der nächsten und übernächsten Legislaturperiode unter sich begraben könnten.

Wenn nicht die Finanzverfassung zugunsten der Städte / Stadtstaaten reformiert wird, hat Bremen nicht die geringste Chance. Die Konkurrenz um die schrumpfenden Einnahmen führt aber Bund und Länder in eine immer härtere Konkurrenz. Eine große Zahl von Veränderungen des bundesdeutschen Steuer- und Sozialrechts der letzten Jahre hat die Haushalte der Kommunen auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite weiter belastet.

Eine Umverteilung zugunsten der Schwachen bräuchte starke Bündnispartner. Die haben sich aber bis heute nicht gefunden. Die Reform ist ebenso nötig wie unwahrscheinlich.

Wenn die Staatskrise auf dem eingeschlagenen Weg und mit den eingesetzten Mitteln nicht zu lösen ist, muß auch der Weg aus der Stadtkrise neu abgesteckt werden. Findet diese Korrektur nicht statt, wird Bremen dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Der Flächenzugriff im Außenbereich der Stadt streift mit großem Tempo jede Rücksicht ab. In der Hemelinger Marsch geht es längst nicht mehr nur um die 250 Hektar diesseits der Eisenbahnlinie, sondern selbstverständlich auch um die dreifach so große Fläche östlich der Bahn bis zum Autobahnkreuz. Das Naturschutzgebiet Hollerland an der Uni wird gerade so zur Disposition gestellt wie die Flächen in Obervieland westlich des GVZ. Mit einer Landnahme wie in den sechziger Jahren versuchen die Wirtschaftsförderer, die Konkurrenz gegen das Gewerbeflächendumping der Umlandgemeinden doch noch zu gewinnen.

Diese Strategie wird verfolgt, obwohl uns zur gleichen Zeit riesige Gewerbe-Gebiete und Immobilien brach fallen. Der Niedergang der alten industriellen Basis der Stadt reißt gewaltige Löcher in den Stadtkörper. Am Rande dieser Löcher verfallen uns die Stadtteile, die in ihrem ganzen wirtschaftlichen und sozialen Leben und in ihrer gebauten Struktur mit den alten Nutzungen verbunden waren. Je länger der Zustand andauert, desto prekärer wird die Lage in der Stadt am Rande der Löcher. Was könnte eine junge Familie auf Dauer im Arbeiterquartier von Bremen Nord halten, außer vielleicht ein Mangel an Alternativen?

Unstrittig ist der Mißerfolg aller Aufwertungsversuche für das Faulenquartier; das ist die direkte Folge der Abwertung des Europahafens bzw. unserer Unfähigkeit, endlich dieses Areal für neue städtische Nutzungen zu öffnen.

Und dann der Space Park. Mit einer halben Milliarde Mark öffentlicher Gelder wird Unterhaltungsindustrie und großflächiger Einzelhandel zur Ansiedlung weit außerhalb der City genötigt. Mit dieser künstlichen neuen „Innenstadt“ unter privater Regie werden im alten, so komplizierten wie schönen Zentrum der Stadt alle latenten Krisen aufbrechen. Wenn es dumm läuft, wird es eine Spirale nach unten geben, die uns ein neues unübersehbares Loch in der Stadt hinterläßt. Nur diesmal direkt neben dem Rathaus. Man kann im kleinen Bremen nicht beides haben: eine prosperierende City und eine systematisch geförderte Randwanderung aller zentralen ökonomischen Faktoren.

Bremen und die Region bilden ein gemeinsames System. Gemeinde und Landesgrenzen spielen für die Menschen und Unternehmen kaum noch eine Rolle. Erst durch den Irrsinn der Finanzverfas-sung wird das Niederkonkur-rieren der Nachbargemeinde zur Existenzfrage. Bremen nutzt einen guten Teil der Sanierungsmilliarden, um sich für diese Konkurrenz aufzurüsten. Aber Siedlungsentwicklung, Verkehrsströme, Märkte entfalten ihre Wirkung nicht nach den Wünschen der Steuereintreiber. In einer Region ohne Regionalpolitik und Regionalplanung verliert die Kernstadt. Die Strategie, Fläche mit Fläche zu erschlagen, ist weder besonders originell noch erfolgversprechend. Ökologisch und stadtökonomisch verheerend ist sie sowieso.

Bremens Chancen liegen in der Kooperation mit der Region und im Wuchern mit dem Pfund seiner städtischen Qualitäten: Der Lage am Fluß, dem alten Stadtkern, der üppigen Durchgrünung des Stadtkörpers, dem unterschiedlichen Charakter der Quartiere. Bremen hat noch innere und äußere Stadtgrenzen. Diese Qualitäten begründen die hohe Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt. Erforderlich wäre eine Stadtentwicklungspolitik, die diese Qualitäten zum Ausgangspunkt nimmt, wenn es darum geht, im Strukturwandel das andere Ufer zu erreichen.