Illusionslos, hard-boiled, das Leben selbst

■ Britische Literatur im Rahmen der Festwochen: Zum Auftakt der Tea Time Lectures stellt das anglo-amerikanische Literaturmagazin „Granta“ sich und seinen schmutzigen Realismus vor

Granta heißt ein Fluß in der altehrwürdigen englischen Universitätsstadt Cambridge. Granta heißt aber auch eine Literaturzeitschrift. Besser gesagt, das britische Literaturmagazin der Gegenwart. Der Untertitel, seit der letzten Ausgabe vom Buchrücken demonstrativ auf den Titel verschoben, lautet simpel „The Magazine of New Writing“. Nicht ein Magazin, sondern das Magazin. Außer Konkurrenz quasi.

Granta wurde bereits 1889 als Studentenmagazin gegründet und veröffentlichte u.a. E.M. Forster, den Klassiker des britischen Realismus, A.A. Milne, Erfinder des Bären Winnie the Pooh, und Silvia Plath, amerikanische Dichterin der inneren Zerissenheiten, die später Selbstmord verübte. In den letzten Jahrzehnten dümpelte das Magazin vor sich hin, bis ihm in den siebziger Jahren Geld und Energie vollends ausgingen. Doch 1979 kam die unerwartete Wende, in Gestalt eines amerikanischen Postgraduate-Studenten, der eigentlich nach Cambridge gekommen war, um seine Doktorarbeit zu vollenden, Bill Buford. Der hat sich des Magazins angenommen und es innerhalb kürzester Zeit in ein literarisch und kommerziell höchst erfolgreiches Produkt verwandelt.

Die Gründe für diesen Erfolg sind vielschichtig. Sie liegen zum einen in der materiellen Unterstützung durch eines der renommiertesten Verlagshäuser Großbritanniens, Penguin, zum anderen in der Veränderung der anglo-amerikanischen Literaturlandschaft zu Anfang der achtziger Jahre.

Als Amerikaner war es Buford ein Anliegen, den Briten eine neue Form amerikanischer Literatur ans Herz zu legen, den „dirty realism“, wie er ihn selbst bezeichnete. Illusionslose, sparsame Prosa von der Unterseite des amerikanischen Lebens. Großbritannien selbst hatte zur selben Zeit aber auch neuen Schwung zu bieten in Form von Autoren wie Salman Rushdie, Martin Amis und Julian Barnes. Weniger theoretische Reflexion über den Sinn des Lebens denn das Leben selbst, in voller Härte und Fülle, war und ist ihr Thema. Literatur also, die „direkt Bezug zur gegenwärtigen Welt nimmt“. Darin jedenfalls sieht der gegenwärtige Chefredakteur Ian Jack die Hauptqualität der von Granta propagierten Form des Schreibens. Er sagt – mit unverhohlenem Stolz –, daß Granta nie Literatur über Literatur veröffentlicht hat, keinerlei Anbindung ans akademische Milieu hat und die sogenannte nichtfiktionale Literatur, also Reiseberichte, Reportagen, Memoiren, historische Dokumentationen, nicht geringer schätzt als fiktionale Literatur.

Die Stärke von Granta liegt tatsächlich darin, Texte zu veröffentlichen, die einerseits stilistisch von hoher Qualität sind, andererseits tiefen Einblick in das andere, Fremde vermitteln. Sei es in einer Reportage über das Wiederaufleben von Köpfungsritualen im wirtschaftlich gebeutelten Indonesien, sei es in einem Bericht von der Invasion der USA in Panama, sei es in einer Bestandsaufnahme der Liquidierung von vier Angehörigen der IRA durch den britischen Geheimdienst auf Gibraltar, sei es in den Familienerinnerungen des Bruders eines Killers. Diese Themen, auch wenn ihre weltgeschichtliche Aktualität nur von geringer Dauer ist, bleiben durch die Intensität der Darstellung von bleibender Faszination. Grantas Interesse gilt der Erzählung vom Leben, nicht dem Essay übers Leben. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich und verkauft derzeit ca. 80.000 Exemplare. Eine beachtliche Zahl. Aber verdient. Martin Hager

Sonntag, 13.9., 17 Uhr, Festspielgalerie, Budapester Str. 48. Es erscheinen Chefredakteur, Lektor und die angloafrikanische Autorin Jackie Kaye. Das nächste Heft erscheint Ende September, kostet £ 7,99 und trägt den Titel „Beasts“.

Weitere „Tea Time Lectures“ am 20. u. 27.9. sowie am 4.10.