Langgezogene Visionen

■ Die Hysterie mit der Mystery verebbt, noch während deren Produkte auf den Bildschirm kommen. "Annas Fluch - Tödliche Visionen" verläuft auch etwas müde (20.15 Uhr, Sat.1)

Vor zwei Jahren präsentierten die Sender auf ihren Jahrespressekonferenzen einen neuen Trend: Mystery. Aufgeschreckt durch den unerwarteten Erfolg der Serie „Akte X“ auf Pro 7 wollten sie ebenfalls an dieser Entwicklung partizipieren und hatten hektisch fast alle Serien aus den USA aufgekauft, die in irgendeiner Richtung den Bedarf an übersinnlichen Phänomenen bedienten. Sat.1 wagte sich sogar einen Schritt weiter. Der Sender wollte den ersten deutschen Mystery-Fernsehfilm produzieren, so kündigte er es vor zwei Jahren groß an.

Doch inzwischen hat sich offenbar die Hysterie um Mystery etwas gelegt. Dafür spricht, daß all die eingekauften Serien bei niedrigen Zuschauerquoten vor sich hindümpeln. Allein die Urmutter „Akte X“ erreicht mit bis zu vier Mio. ZuschauerInnen auch bei seinen Wiederholungen noch gute Quoten. Der Sender, der den Trend initiierte, setzt deshalb weiterhin größtenteils auf US-Ware: Seine einzige Mystery-Eigenproduktion „Feuerläufer – Der Fluch des Vulkans“ zeigt Pro 7 am Sonntag. Noch vor Sat.1 schickte RTL bereits letztes Jahr „Geisterjäger Sinclair“ und „Operation Phoenix“ auf die Hatz nach Übersinnlichem und Quoten. Mit guten Quoten, so daß RTL beschloß, nun beide in TV-Serien zu verwandeln. Starten sollen sie Ende des Jahres bzw. 1999. Sat.1 indes geriet einmal mehr ins Hintertreffen: Mit „Babyraub – Kind fremder Mächte“ war der Sender im letzten April erst Zweiter bei den deutschen Mystery-Produktionen. Nun folgt heute „Annas Fluch“ (und Ende des Jahres „Tal der Schatten“).

„Annas Fluch“ klammert sich über weite Strecken an die Visionen seiner Hauptfigur Anna (Katja Flint). Sie sieht brutale Morde mit den Augen des Killers. Als Anna blutverschmiert und mit der Tatwaffe neben einer Leiche gefunden wird, wird sie als Mörderin verhaftet. Ihr Verteidiger kann die Richterin von Annas Unschuld überzeugen, und sie kommt frei. Da schlägt der Mörder erneut zu. Und Anna sieht, daß die schwangere Frau ihres Verteidigers in tödlicher Gefahr schwebt.

Doch eine Konstellation, die bei „Akte X“ einen Teil des Erfolges ausmacht – die rationale Dana Scully als Gegenpart zum gläubigen Fox Mulder – wird hier zugunsten einer klischeebeladenen Paarung wieder aufgegeben: Da ist Anna, die empfindsame Frau, die über das zweite Gesicht verfügt, einerseits, und andererseits der skeptische Mann, der lieber auf traditionelle Detektivarbeit vertraut. Dementsprechend fehlt es der Handlung an Originalität.

Und es mischen sich die Genres: Es beginnt als Gerichtsdrama und verwandelt sich dann mit einem etwas hölzern gestalteten Wendepunkt in einen Thriller mit einem Touch Übersinnlichem. Da walzt er die langgezogenen Visionen der Anna aus und reichert sie mit farblich abgehobenen Erinnerungsbildern an, deren Sinn sich nicht so recht erschließt. Edwin Feindt