Eine Anstalt für den Wein

Im Rheingau gibt es den einzigen Studiengang für Weinbau in Deutschland. Die Studenten verbindet ein besonderes Verhältnis zu ihrem Produkt  ■ Aus Geisenheim Ralph Bollmann

Eduard von Lade hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt. Nicht nur die Abgeordneten des preußischen Landtags bearbeitete er in jahrelanger Kleinarbeit, auch dem Kaiser selbst drängte er das Obst aus seinen apfelkundlichen Mustergärten gleich kistenweise auf. Am 19. Oktober 1872 war der erfolgreiche Bankier und dilettierende Pflanzenfreund aus Hamburg am Ziel: Preußen, seit der Annexion großer Gebiete an Rhein und Mosel das größte weinbautreibende Land im Reich, eröffnete in Geisenheim die „Königliche Lehranstalt für Obst- und Weinbau“. Die ersten „Eleven“ zogen ein, um sich in einem zweijährigen Lehrgang zu Weinbau-Inspektoren ausbilden zu lassen. Den Ort hatte von Lade mit Bedacht gewählt, mitten im Rheingau, dem renommiertesten deutschen Weinbaugebiet. Auf einer Länge von rund 30 Kilometern fließt der Rhein zwischen Wiesbaden und Rüdesheim von Ost nach West und bietet den Weinbergen in bester Südlage optimale Bedingungen.

Heute sind aus den Eleven Studenten geworden. Sie schreiben sich nicht mehr bei der „Anstalt“ ein, wie die Geisenheimer sagen, sondern bei der „Fachhochschule Wiesbaden, Standort Geisenheim“. Noch immer aber gilt der einzige Weinbau-Studiengang Deutschlands in der Branche weltweit als eine der ersten Adressen. Noch immer sind es neben den FH- Professoren vor allem die Wissenschaftler der Anstalt, die eine Verbindung von Lehre und praxisnaher Forschung garantieren – „eine Kombination, die man jeder Fachhochschule nur wünschen könnte“, rühmt Karl Bayer, Dekan des Fachbereichs Weinbau und Getränketechnologie.

Doch nicht nur dieser konfliktträchtigen Doppelstruktur wegen ist Weinbau kein Studiengang wie jeder andere. Wer sich für Önologie, die Wissenschaft vom Wein, einschreibt, der hat in der Regel ein ganz besonderes Verhältnis zum Objekt seiner Bemühungen. Wer nicht aus einer Winzerfamilie kommt, gilt schon als „Quereinsteiger“ – eine Gruppe, zu der nur jeder zehnte der rund 190 Studenten zählt.

„Man muß trinkfest sein“, beschreibt Doktorand Erwin Hausen das Anforderungsprofil. Gewiß, das Studium hat auch seine trockenen Seiten: Mathematik, Naturwissenschaft, Datenverarbeitung im Grundstudium; praktische Übungen in Weinberg, Keller und Marketing im Hauptstudium. Doch wäre Technik alles, dann müßte das eigene Weingut der Forschungsanstalt den ersten Platz im deutschen Weinbau belegen – Kritiker jedoch mögen ihm allenfalls eine Position im Mittelfeld der Spitzengruppe zubilligen.

Es gibt eben noch ein subjektives Element, und deshalb steht ab dem 4. Semester die Pflichtveranstaltung „Sensorik und Weinbeurteilung“ auf dem Stundenplan. Zunächst müssen die Studenten ihre Zunge an Lösungen von Zucker, Säure und Bitterstoffen schärfen, anschließend werden sie mit verdorbenen Weinen traktiert. Erst dann dürfen sie sich an „echtem“ Wein versuchen.

„Auch in der Freizeit“, formuliert Hausen diskret, „sind die meisten Studenten mit dem Produkt beschäftigt.“ Abendliche Überstunden in Sachen Weinbeurteilung sind die Regel, ein anderes Feierabendprogramm ist ohnehin nur im nahen Wiesbaden, in Mainz oder Frankfurt zu haben. Auch auf Exkursionen reisen stets mehrere hundert Flaschen aus elterlicher Produktion mit, und die Besuche bei ehemaligen „Geisenheimern“ enden „zwangsläufig“ mit sensorischen Übungen. „Verkostung“, warnt Promovend Maximilian Freund jedoch vor Mißverständnissen, „bedeutet nicht, sich zu betrinken.“ Rebsorten, Qualitätsstufen und Anbaugebiete zu erkennen, sich auf feinste Geschmacksnuancen zu konzentrieren, könne „manchmal auch anstrengend“ sein. „Wein schüttet man nicht einfach so runter“, sagt Freund. „Jever oder Bitburger hingegen“, fügt er hinzu, „trinken die Leute doch nur wegen des Alkohols.“

Doktoranden wie Hausen oder Freund gehören zur Geisenheimer Elite. Sie haben nach dem FH- Diplom in Gießen einen Universitätsabschluß erworben, der zur Promotion berechtigt. Doch obwohl der Bedarf an Forschung in Zeiten wachsenden Qualitätsdrucks gewiß nicht klein ist, sind die Stellen rar. Noch dominieren in Deutschland Klein- und Kleinstbetriebe, die sich einen FH-Absolventen kaum leisten können. Jeder zweite Student geht nach dem Examen in den elterlichen Betrieb zurück, schätzt Dekan Bayer.

„In der Wissenschaft gibt es keine große Zukunft“, weiß Cordula Fehlow, die über die Verwendung heimischer Eichenhölzer für den Bau von Barrique-Fässern promoviert. Ohnehin besteht in einem derart kleinen Fach stets die Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren. Früher verbrachte mancher Dozent sein ganzes Berufsleben in Geisenheim, jetzt sollen Austauschprogramme mit Instituten im Ausland für eine Öffnung sorgen. Die Modernisierung schlägt sich auch äußerlich nieder: Nächstes Frühjahr geht ein neuer Mini- Campus aus Mensa, Bibliothek und Hörsaalgebäude in Betrieb. Aus den wilhelminischen Backsteingebäuden mit den gedrechselten Türen und den schmiedeeisernene Treppengeländern werden die Studenten ausziehen. An die „Anstalt“ Eduard von Lades erinnert dann nichts mehr.