„Rückkehr der Inquisition droht“

Bundesanwaltschaft will Lügendetektoren im Strafprozeß verhindern. Nachdem mehrere Gerichte die Geräte bereits zuließen, entscheidet jetzt der BGH  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Karlsruhe (taz) – Es ist eine Glaubensfrage. Seit über vierzig Jahren sind Lügendetektoren in Deutschland verpönt. Jetzt ist die Diskussion neu aufgeflammt. Viele Juristen und Psychologen halten die Geräte für eine wertvolle Hilfe, wenn Aussage gegen Aussage steht. Skeptiker sprechen jedoch von „Hokuspokus“. Gestern verhandelte das oberste deutsche Strafgericht, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Dem BGH liegen dabei zwei Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern zur Entscheidung vor. Im Allgäu soll ein zur Tatzeit vierzigjähriger Mann die Tochter seiner damaligen Freundin und die einer Bekannten mehrmals mißbraucht haben. Das Landgericht Kempten verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft. Im zweiten Fall soll sich ein Mannheimer an einem zehnjährigen Nachbarjungen vergriffen haben. Das Urteil: drei Jahre Gefängnis. Beide Männer bestritten die Tat und hatten sich freiwillig einem (für sie erfolgreichen) Lügendetektortest beim Kölner Psychologen Udo Undeutsch unterzogen. Die Gerichte wiesen diese Beweismittel jedoch als „unzulässig“ ab.

Die Richter konnten sich dabei auf eine lange Tradition der deutschen Rechtsprechung stützen. Schon 1954 hatte der BGH entschieden, daß die Nutzung des Lügendetektors zumindest im Strafprozeß gegen die Menschenwürde des Angeklagten verstoße. Begründung: Der Mensch werde zum Anhang einer Maschine und könne seine Aussagen nicht mehr kontrollieren. Ein Dreier-Ausschuß des Bundesverfassungsgerichts bestätigte dies 1981.

Allerdings ist in letzter Zeit Bewegung in die Diskussion gekommen. So haben die Verfassungsrichter Ende letzten Jahres in einer neuen Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob das Verdikt gegen den Lügendetektor bestehen bleibt. Zuvor hatten bereits mehrere Zivilgerichte grünes Licht für den Lügentest gegeben. Meist geht es in solchen Verfahren um Väter, die einen Mißbrauchsverdacht ihrer Ex-Partnerin ausräumen wollen, um die gemeinsamen Kinder weiter sehen zu können. Zuletzt scherte sogar ein Strafgericht aus. Ein Amtsrichter im mecklenburgischen Malchin ließ den Detektortest in einem Prozeß um eine vermeintliche Vergewaltigung in der Ehe zu.

Die Bundesanwaltschaft hofft jedoch, daß der BGH diesem Spuk bald ein Ende macht. „Das ist die Rückkehr des Inquisitionsprozesses“, warnte Bundesanwalt Dieter Beese gestern in Karlsruhe. Solche Methoden könnten auch dann nicht zugelassen werden, wenn der Angeklagte den Test selbst beantrage. Die Zuverlässigkeit der Untersuchung stufte Beese als äußerst „zweifelhaft“ ein: „Studien aus den USA sagen, daß man genausogut eine Münze in die Luft werfen könnte.“

Das wollte Rechtsanwalt Thomas Scherer, der einen der beiden verurteilten Männer vertritt, nicht auf sich sitzen lassen. Er beantragte eine Sachverständigen-Anhörung, zu der auch positiv eingestellte Experten aus den USA eingeladen werden sollen. Nach Scherers Ansicht liegt die Genauigkeit der Tests bei 95 Prozent.

Auch verfassungsrechtliche Argumente ließ der Anwalt nicht gelten: „Man kann doch nicht die Menschenwürde eines Angeklagten dadurch wahren, daß man ihm die letzte Entlastungsmöglichkeit verweigert.“ Im übrigen würden im Gerichtsprozeß ständig „unkontrollierbare Körperregungen“ ausgewertet. „Wenn der Angeklagte beim Lügen einen roten Kopf bekommt, sieht der Richter das doch auch“, argumentierte Anwalt Scherer.

Ob tatsächlich Sachverständige eingeladen werden, ließ das Gericht gestern offen. Der Prozeß wird am 25. September fortgesetzt. „Möglicherweise verkünden wir dann gleich das Urteil“, orakelte der Vorsitzende Richter Gerhard Schäfer. Denkbar ist etwa, daß sich der Bundesgerichtshof zwar weiterhin gegen Lügendetektoren ausspricht, sich dabei aber nicht mehr auf das Grundgesetz, sondern nur noch auf die Strafprozeßordnung beruft.

Bisher ist nämlich eine „Täuschung“ des Angeklagten bei der Vernehmung nicht erlaubt, während beim Lügendetektorentest eine gewisse Irreführung der Versuchsperson erforderlich ist. „Zumindest über die Relevanz der Kontrollfragen muß der Angeklagte getäuscht werden“, betonte Bundesanwalt Dieter Beese. Sollte der Lügendetektor nur noch hieran scheitern, wäre dies ein klares Signal an den Gesetzgeber nach dem Motto: „Wenn ihr Lügentests haben wollt, dann müßt ihr das Prozeßrecht ändern.“

Aber auch bei einem BGH-Urteil zugunsten von Lügendetektoren dürfte es kaum zum flächendeckenden Einsatz der Maschinen kommen. „In aller Regel sind die Richter sachkundig genug, um zu beurteilen, ob ein Angeklagter lügt oder nicht“, erklärte der zweite Bundesanwalt Michael Bruns.