In der CDU dementiert fast jeder alles

Vor vier Tagen plauderte Claudia Nolte über eine mögliche Anhebung der Mehrwertsteuer. Damit trat die Familienministerin eine Lawine los. Die rollt munter durch Bonn und bringt die CDU in ein Chaos  ■ Von Markus Franz

Elf Tage vor der Bundestagswahl hat sich die Koalition durch die Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung regelrecht in ein Chaos gestürzt. Die Dementis jagen sich, erst ein Dementi bestätigt ein anderes Dementi, die Koalition kassiert ihre eigenen Beschlüsse, die FDP führt sich auf, als wäre sie Partnerin der SPD, und niemand weiß mehr, was die Koalition eigentlich will. Die SPD spricht von einer neuen „Steuerlüge“. Und, als sei das noch nicht Verdruß genug, beteiligt sich die CSU an der Diskussion, wer die Nachfolge von Kohl antritt, und kritisiert die Wahlkampfstrategie der CDU.

Frauenministerin Claudia Nolte hatte das Spektakel ausgelöst, indem sie von einer Mehrwertsteuererhöhung im Rahmen der Steuerreform gesprochen hatte und sich tags darauf unter dem Druck ihrer Partei korrigieren mußte. Allerdings hatte ein Finanzstaatssekretär zwischenzeitlich schriftlich die geplante Mehrwertsteuererhöhung indirekt bestätigt.

Bei Redaktionsschluß behauptete die CDU, daß sie eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließe. Ein späteres Dementi scheint jedoch nicht ausgeschlossen. Noch gestern morgen hatte die Nachrichtenagentur AFP berichtet: „Waigel schließt Mehrwertsteuererhöhung nicht aus.“ Die Agentur berief sich dabei auf einen Sprecher des Finanzministeriums und bestätigte gegenüber der taz, daß sie das entsprechende Gespräch richtig wiedergegeben habe. Wenig später berichtete die Nachrichtenagentur dpa: „Waigel schließt Steuererhöhung aus.“ Erst dieses Dementi bestätigte das Dementi von Claudia Nolte.

Richtiger müßte es wohl heißen: „Waigel verspricht vor der Bundestagswahl, daß es keine Mehrwertsteuererhöhung geben wird.“ Bislang hatte die Koalition zur Finanzierung der Steuerreform eine Mehrwertsteuererhöhung geplant, die rund 15 Milliarden Mark einbringen sollte. Sie sprach zwar bloß von einer „Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern“. Damit war aber eine Mehrwertsteuererhöhung gemeint, was gestern auch der FDP-Parteichef Wolfgang Gerhardt bestätigte. Im gleichen Atemzug schlug Gerhardt vor, „auf diesen Punkt Mehrwertsteuer zu verzichten“. FDP-Fraktionschef Hermann-Otto Solms goß zusätzliches Öl ins Feuer, indem er eine Mehrwertsteuererhöhung wie die Sozialdemokraten als „unsozial“ bezeichnete.

Inzwischen hat die Koalition zu einer gemeinsamen Sprachregelung gefunden, wie der Verzicht auf die Mehrwertsteuer begründet wird. „Aufgrund des kräftigeren Wirtschaftswachstums mit Steuermehreinnahmen und Minderausgaben für den Arbeitsmarkt“, heißt es, habe sich die Geschäftsgrundlage für die Steuerreform positiv verändert.

Als hätte die Koalition nicht schon Probleme genug, sorgte die CSU für zusätzliche Aufregung: So kritisierte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in einem Interview mit dem Stern die Wahlkampfstrategie der CDU. Die Christdemokraten hätten zuwenig und zu spät die Glaubwürdigkeit von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder und Parteichef Oskar Lafontaine auf den Prüfstand gestellt, sagte der Wahlsieger der Bayernwahl. Die gesamte Union hätte Schröder seine Entschuldigungen für die hohe Arbeitslosigkeit in Niedersachsen „jeden Tag um die Ohren hauen“ müssen. Lediglich Helmut Kohl tue dies. „Ich hätte mir nur gewünscht, alle Freunde in der CDU hätten es früher gemacht“, sagte Stoiber. Und damit nicht genug: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Dionys Jobst schlug Edmund Stoiber als Nachfolger von Helmut Kohl vor.