Sali Berisha, der skrupellose Volkstribun

■ Albaniens Oppositionsführer geht es nicht um Demokratie. Der frühere Leibarzt von Diktator Enver Hodscha will wieder Präsident werden – und dazu scheint ihm jedes Mittel recht zu sein

Die Menge auf dem Skanderbeg-Platz im Zentrum Tiranas rast. „Stürzt die Regierung des roten Verräters und Kriminellen Fatos Nano“, krächzt Sali Berisha, Chef der Demokraten und der größten Oppositionspartei, mit heiserer Stimme, seinem Markenzeichen, ins Mikrofon. Das ist die Sprache, die hier alle verstehen: als Aufruf, zu den Waffen zu greifen und mit Gewalt Fakten zu schaffen. So geschehen am vergangenen Wochenende, als sich Berishas Anhänger mit der Polizei Schießereien lieferten und versuchten, den Amtssitz des Regierungschefs in Brand zu setzen.

Der albanische Publizist Fahri Balliu stimmt Lobeshymnen auf seinen guten Freund Berisha an. „Sali Berishas Tugend ist, nicht korrumpierbar zu sein. Anstatt die Gräben in seinem Volk als Präsident zu vertiefen, bemüht er sich darum, alle zu einen“, ist in Ballius Schrift unter dem Titel „Berisha umringt von Kassandras“ zu lesen. Und weiter: „Sali Berisha ist zu tolerant gegenüber seinen Untergebenen und sogar gegenüber seinen politischen Gegnern.“

Dieser Meinung waren Berishas Landsleute 1992 noch gefolgt. Da wurde der heute 54jährige Sohn eines Bauern aus dem Norden Albaniens, der sich als Kardiologe zu einem der Leibärzte des langjährigen Diktators Enver Hodscha hochgedient hatte, zum ersten nichtkommunistischen Staatspräsidenten Albaniens gewählt. „Wir müssen den Mist von 50 Jahren aus den Winkeln kehren“, kündigte Sali Berisha damals großspurig an. Und fügte hinzu: „Den Kommunisten muß verboten werden, illegale Methoden anzuwenden. Aber ich bin gegen Prozesse und Verurteilungen.“

Berishas wahres Demokratieverständnis bekamen einige seiner einstigen Mitstreiter bald zu spüren. Widersacher in seiner Demokratischen Partei wurden auf Befehl des Präsidenten noch im Sommer des gleichen Jahres ausgeschlossen. „Ich kann als Demokrat nicht länger schweigen, wenn wieder nach dem kommunistischen Grundsatz ,Partei und Staat sind eins‘ regiert wird. Den Leuten, die heute an der Regierung sind, geht es nicht darum, einen demokratischen Staat aufzubauen, sondern nur darum, ihn zu beherrschen“, stellte einer der Betroffenen, der Regisseur Arben Imani, fest und sah eine neue Diktatur heraufziehen.

Die weitere Entwicklung sollte Imani recht geben. Im April 1993 ließ Berisha den sozialistischen Oppositionsführer und heutigen Premier Fatos Nano verhaften. Im darauffolgende Jahr wurde der wegen Korrupton in einem fragwürdigen Verfahren zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Doch nicht nur Gesetze umging und brach Berisha. Im staatlichen Fernsehen trat bald nur noch einer auf: morgens Berisha, mittags Berisha, abends Berisha. Gleichzeitig brachte der Präsident seine Verwandten auf hohen Posten in Regierung und Militär unter.

Im November 1994 bekam der selbstherrliche Volkstribun die Quittung. In einem Volksentscheid weigerte sich die Mehrheit der Albaner, eine auf Berisha zugeschnittene Verfassung abzusegnen. Doch während sich im Lande allmählich Ernüchterung über ihren Präsidenten breitmachte, setzte der Westen weiter auf den „Demokraten“ und vermeintlichen Garanten für eine Stabilisierung des bettelarmen Landes.

Bei den Parlamentswahlen vom Mai 1996 mußten die Demokraten eine Niederlage fürchten. Infolgedessen verschwand eine Woche vor dem Wahltag jedwede Werbung der Opposition. Dafür lächelte landesweit Berisha von Albaniens Mauern, dessen Mitstreiter von Beratern der Konrad-Adenauer-Stiftung freundlich unterstützt wurden. Nach offensichtlichen Manipulationen und massiven Einschüchterungen während des ersten Wahlganges boykottierten die Sozialisten und andere kleinere Oppositiosparteien die zweite Runde. Am Ende errang Berishas Demokratische Partei mit 122 von 140 Parlamentssitzen die erwünschte Mehrheit. In einer Ansprache an das Parlament sagte Berisha: „Ich möchte die linke Opposition dazu einladen, ihren roten Boykott aufzugeben.“

Heute, mehr als ein Jahr nach dem Machtantritt der Sozialisten und seinem unfreiwilligen Abgang, hat der jetzige Oppositionsführer Berisha den einst gegeißelten roten Boykott längst in einen blauen (die Farbe der Demokraten) verwandelt. Parlamentssitzungen bleiben die Demokraten, mit Unterbrechungen, seit Monaten fern. Dafür ist die Straße für Berisha das Forum politischer und bisweilen gewalttätiger Auseinandersetzungen. Er hat nur ein Ziel: die Wiedergewinnung der Macht im Staate. Barbara Oertel