: Nicht nur der Puma schläft
Trotz des 2:0 über Inter Mailand muß sich Champions-League-Titelverteidiger Real Madrid eine Krankheit namens „Mittelfeld-Pfropfen“ diagnostizieren lassen ■ Aus Sevilla Reiner Wandler
Weltklassefußball sollte es werden. Champions-League-Titelverteidiger Real Madrid gegen Inter Mailand — zwei große Namen, die für den besten und modernsten Fußball in Europa bürgen. Das ließ 18.000 Madrider keine Strapazen und Kosten scheuen. In PKWs, Bus und Bahn reisten sie aus der Hauptstadt ins über 500 Kilometer entfernte Sevilla. Dorthin war Real von der Uefa verbannt worden, um den Klub für das umgefallene Tor der letzten Saison gegen Borussia Dortmund zu bestrafen. Die restlichen Plätze füllten ein paar hundert Inter-Anhänger und die südspanischen Fans von Real.
Was sie im Stadion Ramon Sanchez Pizjuan zu sehen bekamen, war trotz des 2:0-Sieges enttäuschend. Inter mauerte, und die Madrider liefen wild gegen die Abwehr an, um dann klare Torchancen zu vergeben. Währenddessen ließ der Blick auf die Stadionanzeige bei so manchem Neid hochkommen, wo die Torerfolge aus den anderen Arenen der Champions League verkündet wurden.
Inter Mailand verzichtete auf jegliches Spiel nach vorn. Mit einer achtköpfigen Abwehr zeigten die Blau-Schwarzen Minimalfußball. Hochdotierte Mittelfeldspieler wie Roberto Baggio und Youri Djorkaeff ließ Trainer Luigi Simoni auf der Bank. Statt dessen holte er mit Mauro Milanese einen zusätzlichen Abwehrspieler aufs Feld. Selbst als bei Real die Abwehrspieler mit nach vorne liefen, hielt Simoni an seinem System fest. Keine Konter. Ein torloses Unentschieden wollte er als Erfolg mit nach Hause nehmen. Nach einer gelb-roten Karte für Salvatore Fresi ( 42. Minute) siegte der italienische Antifußball endgültig.
Die Sturmspitzen Ronaldo und Ivan Zamorano suchten verzweifelt nach Bällen, irgendwo zwischen der Mittellinie und dem gegnerischen Strafraum. Für Ronaldo wurde sein erster Auftritt auf spanischem Rasen, seit er vor zwei Jahren den FC Barcelona Richtung Mailand verließ, zum Nullspiel. Dem Stürmer fehlten nicht nur die Vorlagen. Schlimmer: Bei den wenigen Bällen, die ihn erreichten, fehlten ihm auch die Ideen. Ronaldo bot einmal mehr das traurige Bild, an das er seine Fans seit dem WM-Finale gegen Frankreich gewöhnt hat.
„Der Mann, der wie ein Puma auf dem Baum schläft, um dich plötzlich zu erschrecken“, nennt ihn Madrids Trainer Guus Hiddink. Aber der Puma ist weit davon entfernt, die Krise zu bewältigen, die er am Tag vor dem Spiel für „traurige Vergangenheit“ erklärte.
Warum hat Inter den Fußball verweigert? „Manchmal spielt man defensiv, weil man will, und manchmal aus reiner Notwendigkeit, weil dich der Gegner nicht anders läßt“, verteidigte sich Inter- Coach Simoni. Real Madrid sei haushoch überlegen gewesen. Ein Lob, das Kollege Hiddink gerne entgegennahm: „Meine Mannschaft war einfach phantastisch“, schwärmte der Trainer der Weißen, der „besten Offensiv-Fußball“ gesehen haben will.
Doch wie sein Vorgänger Jupp Heynckes muß auch er sich von der spanischen Fachpresse fragen lassen, warum trotz zehn gut herausgespielter Chancen keine Tore fallen wollten. Um den Inter-Torwart Gianluca Pagliuca zu überwinden, bedurfte es eines Strafstoßes.
Das läßt sich mit der hervorragenden Leistung des „umgekehrten Ronaldo“ (Johan Cruijff) entschuldigen – aber nicht nur. Für die spanischen Kommentatoren leidet Real an der gleichen Krankheit wie die Nationalmannschaft. Die Diagnose lautet: „Ein Pfropfen im Mittelfeld“. Während sich im Zentrum Raul, Mijatovic und Morientes behindern, wird vor allem der rechte Flügel vernachlässigt. Das könnte Real Madrid am Wochenende beim Spitzenspiel der spanischen Liga gegen den FC Barcelona zum Verhängnis werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen