Auf Pferden dem Sonnenaufgang entgegen

Der Punk ist definitiv raus: Hole haben sich hübsch gemacht, um mit ihrem neuen Album ein Stück „kalifornischer Musikgeschichte“ zu schreiben. „Celebrity Skin“ eignet sich zur Zeichendeutung – jetzt mit einer Extraportion Authentizität und ehrlicher Rockschaffe!  ■ Von Heike Blümner

Eines vorweg: Ein Artikel über das neue Album von Hole, „Celebrity Skin“, wird unweigerlich vor allem zu einem Artikel über Courtney Love, Sängerin und Gitarristin dieser Band. Egal ob die anderen Bandmitglieder tolle Musiker sind, egal ob Billy Corgan von den Smashing Pumpkins mehr oder weniger an den Knöpfchen gedreht hat, egal in welchen musikhistorischen Kontext „Celebrity Skin“ eingebettet werden soll. Ohne diese Frontfrau wäre einem „Celebrity Skin“ nämlich nur eines: ziemlich egal!

Musikalisch hört sich „Celebrity Skin“ aus europäischer Perspektive so weit weg an, wie Berlin oder London tatsächlich von Los Angeles entfernt sind. In einer Zeit, wo in Europa Musiker am liebsten so nicht mehr genannt werden wollen und ein diffuser Innovationsgedanke im Vordergrund jeglichen Schaffens steht, obwohl auch dieser Ausdruck eher verpönt ist, mutet es befremdlich an, daß in Amerika ein Album wie „Celebrity Skin“, das musikalisch mehrere Schritte zurückgeht, die Tür nach ganz oben öffnet.

Klar, in den Staaten rockt es sich noch eins-zu-eins-mäßiger ab, aber trotzdem ist man dort mehr mit dem tausendsten HipHop-Mix auf der Glamour-Seite des Lebens als mit recht simplen Singer-Songwriter „Bitte schön, hier ist mein Innerstes für alle zum Angucken“- Rockpop-Arrangements. Gut, die zugkräftigen Vorbilder für die neuen Hole-Songs – Fleetwood Mac, die Byrds oder die Beach Boys – lassen sich heraushören. Vielleicht aber auch nur, weil es einem vorab in Interviews und Pressetext schon zigmal um die Ohren geklatscht wurde, daß hier „kalifornische Musikgeschichte“ geschrieben werden soll. Und das, obwohl vom Hole-Prinzip, harte Gitarrenparts durch melodische Brücken miteinander zu verbinden, kaum abgelassen wurde. Nur, daß die harten Gitarrenparts melodischer wurden und die Gesangsparts harmonischer. Weshalb man bei einigen Stücken wie „Malibu“ oder „Heaven Tonight“ durchaus von Pop sprechen kann. Von mir aus auch California-Pop. Was die Sache nicht spannender, aber an manchen Stellen durchaus hübsch macht. Ein Attribut, das bisher mit Hole wenig zu tun hatte.

Das Interessante an der Neuveröffentlichung ist somit wieder mal ein Blick auf die Texte. Was verhandelt die Frau, deren Lyrics immer den Anschein haben, als stünden sie als Subtext zu ihrem wirklichen Leben, das an Aufregung wohl kaum zu überbieten ist. Entschlüssle den Text, und du weißt, was diese Frau antreibt, so die verlockende Botschaft. Auf dem Hole-Debüt von 1991 „Pretty On The Inside“ wurden noch Teenage-Prostitution und Drogenkonsum thematisiert, das letzte Album, das wenige Tage nach Kurt Cobains Tod erschien, trug den geradezu prophetischen Titel „Live Through This“, und wie genau Love durch den Sumpf gekrabbelt ist, um in glitzy Hollywood wieder auf der Bildfläche zu erscheinen, läßt sich nun auf „Celebrity Skin“ nachhören.

Eine Art widersprüchlicher Exhibitionismus war von Anfang an das Faszinierende und Erfolgreiche sowohl an der Band Hole als auch an der Person Love. Benutzen und benutzt werden, Details aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit streuen und sich gleichzeitig mit Zähnen, Klauen und einstweiligen Verfügungen gegen unliebsame Berichterstattung wehren, die persönliche Tragik mitinszenieren wollen, in Interviews jedoch jede Frage zu ihrem verstorbenen Mann und den damit verbundenen Wirren wie Sucht, Sorgerecht und Skandal untersagen. In anderen Worten: Man soll genau hinhören, aber gleichzeitig ist man das voyeuristische Arschloch. Das alles führte dazu, daß das Interesse an Love ins Unermeßliche stieg und sie auf dem besten Weg ist, Madonna am Ende der neunziger Jahre als größten weiblichen Superstar abzulösen. Praktischerweise haben beide Frauen dasselbe Management, und die neue Courtney Love sieht jetzt aus wie die Schwester der späten Madonna. Doch wo Madonna in ihrer Arbeit mit Künstlichkeit und Oberfläche operierte, bedient sich Love auf dem Weg nach oben (scheinbarer) Authentizität und ehrlicher Rockschaffe.

Und wer's denn mag, kann sich auf „Celebrity Skin“ in Zeichendeutung verlieren. Im Programm sind diesmal Tod, Schönheit, Los Angeles und der Abgesang auf Grunge: „It was punk / it was perfect / now it's awful“. Oder wie wär's mit „Love hangs herself / with the bedsheets in her cell“, als von ihr selbst ausgesprochene Phantasie derer, die nach Cobains Tod ihr, Love, die Schuld daran gaben. Überhaupt auch wenn „Celebrity Skin“ auf Biegen und Brechen ein kalifornisches Album sein soll, so ist es mehr noch ein Album, über dem immer noch der Schock über den Verlust von Loves Ehemann schwebt. Ihre Antwort auf seinen Abschiedsbrief lautet jedoch: „It's better to rise than to fade away...“

Auf „Celebrity Skin“ wird aber auch „Liebe“ besungen, die wie „Treibsand“ ist, oder die Liebenden reiten auf Pferden dem Sonnenuntergang entgegen. Schlechter Geschmack, ohne davon zu wissen, ist wahrscheinlich das einzige, wobei man Love auf frischer Tat ertappen kann.

Ja, sie hat es geschafft, das größte Stück vom Kuchen zu bekommen. Und sie muß es sich auch mit niemandem teilen. Außer den Smashing Pumpkins ist keine der Bands übriggeblieben, die Anfang der Neunziger die Schublade Grunge sprengten. Vor gut zwei Wochen bei den MTV-Awards, die inzwischen Über-Oscar-Dimensionen angenommen haben, stellten Hole die neue Single vor, die ebenfalls „Celebrity Skin“ heißt.

Der Punk ist so gut wie raus aus der Musik, doch wie sieht's mit dem Posing aus: neue Nase, neue Titten, neue Garderobe, schlankere Figur oder: „Ich will so werden, wie ich will!“ Das ist zwar kalifornisch, aber auch radikal. Es sieht so aus, als bliebe sie uns so noch lange erhalten.