■ Kohl verspricht Änderungen beim Großen Lauschangriff
: Ein Programm für die Große Koalition

Als das Gesetz über den Großen Lauschangriff im März im Bundestag verabschiedet wurde, schäumte die Union. Neun FDP-Abgeordnete hatten zusammen mit der PDS und den Grünen dem abgemilderten Ausführungsgesetz der SPD zugestimmt, das zuvor im Vermittlungsausschuß durchgebracht worden war. Darin werden mehr als zwanzig Berufsgruppen – unter anderem Ärzte, Anwälte, Strafverteidiger, Pfarrer und Journalisten – von der akustischen Überwachung ausgenommen.

Nun hat Kohl angekündigt, sich nach der Wahl den Großen Lauschangriff noch mal vorzunehmen. Er hat das einer großen ostdeutschen Zeitung gesagt, wohlweislich mit dem Kalkül, die in den neuen Ländern zum äußersten rechten Rand neigende Wählerschaft an die Union zu binden. Hürden will er beseitigen, die PDS, Grüne und SPD für eine Überwachung von „Gangsterwohnungen“ (O-Ton Kohl) errichteten.

Man mag sich damit trösten, daß Kohls Kanzlerschaft nach allen Umfragen wohl am 27. September zu Ende geht. Seine programmatische Kurzaussage aber wird nicht nur in der Union getragen. Freudig griff der neue Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Norbert Spinrath, ein SPD-Mitglied, des Kanzlers Worte auf und forderte neben einer Einschränkung der Ausnahmeregelung für bestimmte Berufe auch noch gleich die Videoüberwachung in Wohnungen. Es bleibt, was die Kritiker des Großen Lauschangriffs befürchten: Die Debatte um den Großen Lauschangriff bleibt auf der Tagesordnung. Zumal für den Fall, daß es in Bonn nach der Wahl zu einer Großen Koalition kommt. In einem möglichen sozialdemokratischen Innenminister Otto Schily werden Gewerkschafter wie Spinrath wohl einen verständnisvollen Zuhörer finden. Denn Schily war es, der zusammen mit der Union am Gesetzestext zum Großen Lauschangriff bastelte. Erst spät, sehr spät – und nach einer Kampagne großer deutscher Verlage und Magazine – setzte er sich für die Ausnahmeregelung ein.

Kohl mag abtreten. Seine Forderung aber wird vom CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, der in einer Großen Koalition die zentrale Rolle spielen wird, einen starken Befürworter haben. In der Debatte vor der Abstimmung zum Großen Lauschangriff vermerkte das Protokoll des Bundestages seinen erbosten Zwischenruf: Ein Gesetz mit derartig vielen Ausnahmen „kann man schon vergessen“. Severin Weiland