Wand und Boden
: Engel und Teufel mit Damenbinden

■ Kunst in Berlin jetzt: János Reismann und Nedko Solakov

Im Keller der Galerie Arndt& Partner steht ein Leuchtkasten von Peter Friedl auf dem Kopf. 1989 ist zu lesen. Richtig gelesen – aber gibt es das? – ist diese Jahreszahl Schwerpunktthema des Hauses Ungarn. Zur Zeit liefert eine Ausstellung mit Fotografien von János Reismann dem Besucher ein Stimmungsbild von Budapest am Ende der 60er Jahre. János Reismann (1905–1976) gehört zu den großen ungarischen Fotografen. Anders als Martin Munkácsi, Lazlo Moholy-Nagy, Capa, Kertész oder Brassai ist er aber wenig bekannt. Dabei hatte er schon in der Weimarer Republik einen Namen, nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit John Heartfield und Erwin Piscator. Zunächst absolvierte er an der Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen in München einen Kurs als Kameraoperateur, wie man damals sagte. Doch weil er beim Film nicht unterkam, begann er im Stil der Neuen Sachlichkeit zu fotografieren. Vor allem die Spiegelungsphänomene der glänzenden Oberflächen und Glasarchitekturen in der Großstadt interessierten ihn. Anfang der 30er Jahre wanderte er in die Sowjetunion aus. Während des Krieges lebte er in Frankreich und gehörte zum Widerstand. Danach kehrte er nach Ungarn zurück.

Seine Schwarzweißfotografien aus Budapest hängen nun also schmucklos, undatiert und unbetitelt im kargen Untergeschoß des Hauses Ungarn – und wirken. Entgegen den eher widrigen Umständen. Ein Hauch der 20er Jahre ist ihnen auch in den 60er Jahren noch eigen. Vor allem die Aufnahmeperspektive von oben erzeugt diese Reminszenz und die sichtbare Verliebtheit in die Großstadtatmosphäre. 20er- Jahre-Menschen sind einfach Großstadtmenschen. Ein wenig wirkt Reismanns Budapester Zentrum wie Paris. Es sieht nicht ärmlich aus oder heruntergekommen. Vielleicht ein wenig leer. Aber die Mädchen sind schick und tragen Mini, und manch eine könnte dieses Jahr fotografiert worden sein. Das machen die Badelatschen, die sie zum schlichten Rock und Pulli trägt. Auch die Jungs sind aufgemotzt, Mods, und sehen aus, als ob sie aus der englischen Arbeitervorstadt stammten. Doch Reismann geht tatsächlich auch an den Budapester Stadtrand, in die neuen Wohnsiedlungen, die ersten Plattenbauanlagen. Die (noch) properen Fassaden der Häuser, der Gehweg, auf dem sich drei Menschen verlieren, der frisch gepflanzte Grünstreifen mit den jungen Bäumchen und den Straßenlaternen, die Straße und schließlich die gegenüberliegende Häuserzeile staffeln sich im Bild sauber von links nach rechts nebeneinander. Es ist keine Welt in Aufruhr, die diese Bilder zeigen. Diese Welt sieht unverdächtig aus. Irritation schafft nur die Menschenleere oder der Menschenauflauf vor dem neuen Traktor, der wie eine Skulptur vor einem ebenso nagelneuen Plattenpalast aufgebaut ist.

Bis 30.10. , Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Karl-Liebknecht-Str. 9

Doch schon rund zehn Jahre nach 1989 ist es nicht mehr dieser untergegangene Traktor-Sozialismus mit seinem ästhetischen Erscheinungsbild und seinen Ritualen, der die osteuropäische Kunst herausfordert. In den Erdgeschoßräumen der Galerie Arndt & Partner, über dem Leuchtkasten im Keller, hängt der bulgarische Künstler Nedko Solakov nun seine Goldgrund-(Pop-)Ikonen. Es ist die wiederentstandene religiöse Orthodoxie, die seine Imagination und seinen Spott beflügelt.

Schon immer spielten eigene oder zitierte Texte eine wesentliche Rolle in seinem Werk, spannte er triviale und folkloristische Ausdrucksformen in seine Konzeptarbeiten ein: „The Holy St.N. who commited suicide because she was not accepted by the jury for a TV commercial of the most advanced ladys sanitary napkin“ steht nun fein säuberlich neben dem hübschen Heiligen, der in der Art einer Schutzmantelmadonna auf dem Goldgrund schwebt. Über seinem Heiligenschein schweben zwei Engel, die eine saubere Damenbinde halten. Darunter stürzen zwei kleine schwarze Teufel mit einer blutbefleckten Binde in die Hölle. Leider war St.N. nicht blond, sie war zu groß und hatte zudem einen Schnurrbart. Nach ihrem Selbstmord wurde sie freilich von der orthodoxen Kirche heiliggesprochen, und ihr Fall wurde geschickt dafür genutzt, das westliche Wertesystem in Frage zu stellen. Entsprechend mißfällt dem Künstler auch die auf einen zwei mal zwei Meter messenden Keilrahmen gespannte nackte Leinwand. Auch so ein westliches, dekadentes Ding, so gut wie ein TV-Commercial. Steht zwar nicht explizit auf die Leinwand geschrieben, aber diese Schlußfolgerung darf man schon ziehen.

Zwei andere große Leinwände zu bemalen konnte er sich allerdings überwinden. Eines zeigt einen weißen Wurm vor einem dunkelgrünen Hintergrund. Das Bild hängt hoch an der Wand, vor einer scheußlichen „einheimischen industriellen Tapete“, mit der eine Ecke des Galerieraums ausgekleidet wurde. Am oberen Bildrand ist wiederum ein Text zu erkennen, aber kaum zu lesen. Also schaut man auf die Tapete mit dem Blumenstilleben in den sanften Brauntönen vor sich. Und hier entdeckt man dann doch einen Text, der lautet: „If it is very hard for you to read the text on the big canvas above, here it is: ...“ Was man aber vor allem sieht, sind die Teufel, Dämonen, Schlangen, die sich zwischen den penibel gezeichneten Blüten versteckten.

„Silly“, wie die Werkschau heißt, ist tatsächlich hinreißend komisch, aber auch bedrohlich „inhaltistisch“. Das soll kein Vorwurf an den wichtigsten Impulsgeber der jungen bulgarischen Avantgarde nach 1985 sein, ganz im Gegenteil. Solakovs Kunst ist politisch. Wie die komische Goldgrundgeschichte von Saturn, der in den bonbonbunten Jupiter umbenannt wurde. Sie ist eine traurige, weil die Melancholie ihren Raum schon wieder an einen strahlenden Gott verloren hat.

Bis 14.11., Di.–Sa. 12–18 Uhr, Auguststraße 35 Brigitte Werneburg