Neues Interesse an altem Brennstoff

■ Grubengas: Die Energie aus dem Schacht kann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Allein mit der Nutzung von Methangas aus den stillgelegten Schächten zwischen Rhein und Weser ließen sich 100.000 Haush

Grau-schwarz liegen die Regenwolken über der Schachtanlage Lohberg/Osterfeld der Ruhrkohle AG (RAG) in Dinslaken am nordwestlichen Rand des Ruhrgebiets. In ähnlichen Farben präsentieren sich viele Betriebsgebäude auf dem Zechengelände, so daß die in prall gelber Farbe gehaltene, verwinkelte Versorgungsleitung gleich ins Auge sticht. Gelbe Rohre – die Versorgungswirtschaft weiß, daß durch Leitungen mit dieser Farbe Erdgas strömt.

Auch durch die Dinslakener Pipeline strömt Gas, und zwar Grubengas, das beim Abbau der Steinkohle in mehr als 1.000 Metern Tiefe freigesetzt wird. Über eine Steuerungsanlage wird das Gas angesaugt, gesammelt und durch das Leitungssystem in eine mobile Heizkesselanlage mit 4,5 Megawatt (MW) Leistung geschickt. Seit Februar vergangenen Jahres speisen die Stadtwerke Dinslaken die so gewonnene Wärme in ihr Fernwärmenetz ein, womit in den nördlichen Stadtteilen und im benachbarten Hünxe bis zu 4.000 Wohnungen beheizt werden. Über die Erfahrungen mit dem neuen „Wärmezulieferer“ kann Wolfgang Kammann, Sprecher des Kommunalversorgers, nur Positives berichten: „Da wir den größten Teil unserer Fernwärme aus industrieller Abwärme gewinnen, deren Einspeisung aber schwankt, können wir nun mit der Grubengaswärme die Versorgungssicherheit an der Peripherie unseres Leitungsnetzes ausbauen.“

500.000 Kubikmeter Grubengas haben die Stadtwerke Dinslaken 1997 für die Wärmeerzeugung genutzt, ein Volumen, das in diesem Jahr fast verdoppelt werden soll. Und nicht nur das: Im knapp hundert Meter von der Heizzentrale entfernt stehenden Kühlturm des ehemaligen Zechenkraftwerkes wird derzeit ein Blockheizkraftwerk (BHKW) gebaut. Für das BHKW, das für eine elektrische Leistung von fünf MW sowie eine thermische Leistung von 5,4 MW ausgelegt ist, investieren die Stadtwerke 7,5 Millionen Mark. „Mit dieser Eigenstromerzeugung wollen wir unsere Lastspitzen vor allem in den Wintermonaten reduzieren“, erklärt Kammann. Jährlich könne so rund eine Million Mark beim Strombezug von der RWE Energie AG gespart werden. Am 4. November soll das neue BHKW offiziell in Betrieb gehen, „rechtzeitig, damit wir die Weihnachtsspitzen abfedern können, wenn alle Tannenbäume strahlen“.

Vor dem Start der Heizkessel nutzte die Schachtanlage zwar ein Grubengaskontingent zur werksinternen Beheizung und Warmwasserversorgung, der größte Teil blieb aber ungenutzt und wurde – wie es so schön heißt – „kalt abgefackelt“, mithin ungenutzt an die Atmosphäre abgegeben. Dieses „kalte Abfackeln“ hält Hans Roth für „ökologisch höchst bedenklich“. Er ist Geschäftsführer der Thyssen Energie-Systeme GmbH in Bocholt, die in Herne ein Grubengas-BHWK zur Strom- und Wärmeversorgung der neuen Fortbildungsakademie des nordrhein- westfälischen Innenministeriums projektiert hat. Das aus vielen Revierzechen und stillgelegten Schächten ausströmende Gasgemisch enthält zu fast 60 Prozent Methan (CH4), ein Spurengas, das auch zum Treibhauseffekt beiträgt. Dabei ist die Klimaschädlichkeit eines CH4-Moleküls in der Atmosphäre 32mal so groß wie das weitaus bekanntere Kohlendioxid (CO2). Deshalb hält es die Bundesregierung, die damit einer Empfehlung der von ihr eingesetzten interministeriellen Arbeitsgruppe (die sog. IMA „CO2-Reduktion“) folgte, bereits seit Ende 1990 für erforderlich, „Grubengas so weit wie möglich unter Berücksichtigung der Grubensicherheit energetisch zu nutzen“.

Nur im Saarland, neben der Ruhr das zweite große deutsche Steinkohleabbaugebiet, gab es bislang eine Grubengasnutzung im großen Stil. Michael Marx, Fachbereichsleiter bei der Saarbergwerke AG für die Grubengasabsaugung und -fortleitung, erklärt, warum: „Im Gegensatz zum Ruhrgebiet waren alle Zechen in ein Grubengas-Verbundnetz eingebunden, was die wirtschaftliche Verwertung des abgesaugten Grubengases wesentlich vereinfachte.“ Zentral werden bei der Saarbergwerke AG die 13 Absauge- und Verdichteranlagen gesteuert. Die jährlich 200 Millionen Kubikmeter Methangas werden heute unter anderem bei der Saarstahl AG, sieben Heizwerken der Saarberg- Fernwärme, drei Kraftwerken und auch von der Chemiefirma Atochem im benachbarten Frankreich genutzt. Seit Juli wird auch im Saarland aus dem Grubengas elektrische Energie gewonnen. Michael Marx: „Die Saarberg-Fernwärme nutzt das Methangas in einem Blockheizkraftwerk mit Stirlingmotor.“

Bei dem gewachsenen Klimabewußtsein scheint der Brennstoff Grubengas nun auch im Ruhrgebiet größeres Interesse zu finden. In der einstigen Kohle- und Stahlregion haben vor den Stadtwerken Dinslaken nur die Gelsenkirchener Stadtwerke diesen Brennstoff „entdeckt“. Seit Herbst 1989 versorgt ein 11,9 MW Heizkraftwerk, dessen Motoren im Dreistoffbetrieb neben Grubengas mit Heizöl und Erdgas laufen können, eine Nahwärmeinsel. Seit November vergangenen Jahres laufen nun auch in Herne zwei BHKW-Module auf dem Gelände der ehemaligen Schachtanlage Mont Cenis, wobei ein Modul ausschließlich mit Grubengas befeuert wird, während das zweite Aggregat wahlweise mit Gruben- oder Erdgas läuft. Der neue Energieträger hat Karl Grunert, der bei den Herner Stadtwerken als Hauptabteilungsleiter für die Stromversorgung zuständig ist, überzeugt: „Ich war überrascht, daß die Maschinen bislang rund um die Uhr ohne Probleme gelaufen sind.“

Nicht nur deshalb denkt Grunert über eine Vergrößerung der BHKW-Anlage, deren Jahresstromerzeugung bei rund 2,5 Millionen Kilowattstunden liegen wird, nach: „Der Gasfluß ist weitaus größer als die rund eine Million Kubikmeter, die uns die Studien vorhergesagt hatten.“ Mit dem neuen Modul würde die Grubengasanlage noch lukrativer für die Stadtwerke, die den Brennstoff kostenlos von der Ruhrkohle geliefert bekommen. Hans Roth von der Thyssen Energie-Systeme GmbH spricht deshalb „von einem sowohl finanziell als auch ökologisch höchst gelungenen Projekt“. Allein mit den beiden Grubengasmodulen in Herne läßt sich jährlich der Ausstoß von über 11.000 Tonnen Kohlendioxid vermeiden.

Hernes positive Erfahrungen sind nicht nur bei der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW) GmbH auf großes Interesse gestoßen. Während das Grubengasprojekt in der Westfalen- Metropole noch im Anfangsstadium steckt, sind die Pläne am Ostrand des Ruhrgebietes wesentlich konkreter. Im September will die Krefelder Firma G.A.S. Energietechnik GmbH in Lünen ihren BHKW-Container mit einer elektrischen Leistung von 400 Kilowatt in Betrieb nehmen, der ausströmendes Grubengas aus dem Schacht IV der ehemaligen Zeche Minister Achenbach nutzt.

Nach offiziellen Statistiken strömen bislang 120 Millionen Kubikmeter Grubengas aus den ehemaligen Zechenschächten. Bei diesem Volumen glaubt auch Clemens Backhaus, Abteilungsleiter beim Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen, daß das Interesse nach dem bislang vernachlässigten Brennstoff wachsen wird: „Allerdings warne ich vor einen vorschnellen Euphorie, da die Erfahrungen mit diesem Gas noch sehr gering sind.“ Backhaus hält aber die Projekte in Dinslaken, Herne und Lünen für eine „Vorhut, die der Grubengasnutzung mehr Aufmerksamkeit verschaffen wird“.

In Bocholt ist es für Hans Roth von der Thyssen Energie-Systeme keine Frage, daß das Grubengaspotential energetisch stärker genutzt werden muß. „Allein mit dem Methangas aus den stillgelegten Schächten und Gruben zwischen Rhein und Weser könnten bereits heute mehr als 100.000 Haushalte ihren Strom erhalten und so einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, hat er ausgerechnet. Ralf Köpke