Verdacht auf Schlamperei wird konkreter

■ Der Schadstoffausstoß der bayerischen GSB überschreitet die Grenzwerte, meint ein Toxikologe nach Auswertung GSB-eigener Meßdaten. Bürger-Ini: „Fehlplanung hoch drei“

Baar Ebenhausen (taz) – In Europas größter Sondermüllverbrennungsanlage kümmert man sich offenbar nicht um Grenzwerte. In der von der Gesellschaft für Sondermüllverbrennung in Bayern (GSB) betriebenen Anlage in Baar Ebenhausen (Landkreis Pfaffenhofen/Ilm) seien Überschreitungen an der Tagesordnung, will der Toxikologe Tino Merz herausgefunden haben. Der Experte war von der „Bürgerinitiative zur Kontrolle der GSB“ mit einer Auswertung GSB-eigener Meßprotokolle beauftragt worden.

Seit die Anlage 1996 um zwei neue Verbrennungslinien erweitert wurde und erstmals auch schwach radioaktiv verstrahlte Molke aus Tschernobyl-Zeiten verbrannt wurde, sind die Bürger wachsam. So weist Alois Bauer, Pressesprecher der 2.500 Mitglieder starken BI und Allgemeinmediziner, immer wieder auf die von ihm registrierte Zunahme von Atemwegserkrankungen und Krebsfällen in der Region hin und sorgt damit für Aufregung. Die Betreiber erklärten ebenso regelmäßig, die Grenzwerte der Verbrennungsemissionen seien eingehalten.

Auf Anweisung des Pfaffenhofener Landrats Rudi Engelhard (CSU) hatte die GSB der Bürgerinitiative nun 13 Meßprotokolle zur Verfügung gestellt, aus denen sich die Schadstoffmessung rückwirkend bis März 1995 ersehen läßt. Übereinstimmend mit dem Juristen Jochen Hofmann-Hoeppel kommt Merz zu folgendem Fazit: Der Betrieb der größten europäischen Sondermüllverbrennungsanlage, die zu 65 Prozent dem Freistaat Bayern gehört und deren Aufsichtsratsvorsitzender der bayerische Umweltminister Thomas Goppel ist, stelle einen „rechtswidrigen Dauerbetrieb“ dar.

Laut Hofmann-Hoeppel kommt es in allen drei Verbrennungslinien „zu massenhaften Überschreitungen der gesetzlich geforderten Grenzwerte“ bei Dioxin, den stark krebserregenden polyaromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH), Staub, Stickoxiden, bei Schwefeloxiden, Kohlenwasserstoffen, Kohlenmonoxid und bei Quecksilber.

Auch liege der Anteil der organischen Stoffe in der Schlacke deutlich über dem Grenzwertanteil von fünf Prozent. Bodenproben rund um die GSB hätten an einer Meßstelle binnen fünf Jahren einen Anstieg der Dioxin-Belastung von zwei auf 12 Nanogramm pro Kilo Boden ergeben. Gemessen an der durchschnittlichen bayernweiten Bodenvorbelastung von 0,5 Nanogramm ist das 24fach höher. Dioxin wirkt nicht nur neuro- und immuntoxisch, es soll auch das Hormonsystem und die Zellfunktion verändern, Leber und Nieren schädigen und Allergien und Diabetes begünstigen.

Pikant erscheint nun auch die von der Regierung von Oberbayern gewährte Ausnahmegenehmigung für das Verbrennen unter reduzierter Hitze. Statt mit 1.200 Grad wird derzeit nur mit 900 Grad verbrannt. Dies genüge allem Anschein nach nicht, so der Jurist, um Schadstoffe zu eliminieren: „Die ertüchtigte Altanlage und die sogenannten Neuanlagen sind ganz offensichtlich Schrottanlagen.“

Angesichts dessen will die BI nun bei der Regierung von Oberbayern als zuständiger Genehmigungsbehörde beantragen, daß diese die Ausnahmegenehmigung, den Sondermüll mit verminderter Temperatur zu verbrennen, widerruft. Zudem soll sie nachträgliche Anordnungen zur Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten erlassen und, falls dies nicht möglich ist, den Betrieb teilweise oder gänzlich verbieten. Notfalls will die BI bis vor das Verwaltungsgericht gehen, um die „untragbaren Zustände“ zu beenden.

Hofmann-Hoeppel gibt sich zuversichtlich: „Wir haben erfreulich aussagefähiges und viel Material.“ Neben den Grenzwertüberschreitungen beurteilen die Experten noch andere Gegebenheiten als problematisch. So verfüge Europas größte Sondermüllverbrennungsanlage über einen nur 28 Meter hohen Abluftschornstein, während derartige Kamine üblicherweise eine Höhe zwischen 75 und 100 Metern aufwiesen. Problematisch sei der niedrige Kamin vor allem wegen des Standorts der GSB in einer Talsenke, nahe eines Flusses mit häufig anzutreffenden Inversionswetterlagen und Nebel. Der Standort der GSB in Baar Ebenhausen sei „eine Fehlplanung hoch drei“.

Bereits vor der Veröffentlichung dieser vernichtenden Bilanz sah sich der technische Geschäftsführer der GSB, Karl-Heinz Decker, dazu veranlaßt, dem Toxikologen Tino Merz eine Falschinterpretation der Meßwerte vorzuwerfen. Es sei „nicht nachvollziehbar, daß die GSB beschimpft wird, wenn sie sich an die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Vorgaben und Grenzwerte hält“, hieß es. Wer nun recht hat oder im Recht ist, werden die Gerichte entscheiden müssen. Manuela Knipp-Dengler