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Nach Sex und Lügen jetzt das Video

■ Lewinsky-Skandal, nächste Folge: Das Video, das bei der Aussage Bill Clintons vor der Grand Jury aufgezeichnet wurde, darf jetzt vom Fernsehen gesendet werden. Dies entschied der Rechtsausschuß des Repräsentantenhauses

Washington (taz) – Der Rechtsausschuß des US-Repräsentantenhauses hat gestern grünes Licht für die Veröffentlichung des Videobandes mit US-Präsident Bill Clintons Aussage vor der Bundesanklagekammer vom 17. August gegeben. Das teilte der republikanische Ausschußvorsitzende Henry Hide in Washington mit.

Bei seiner Aussage vor der Grand Jury zum Lewinsky-Skandal war Clinton angeblich mehrfach aus der Fassung geraten. Er hatte die Antwort auf Fragen nach intimen Details seiner Beziehung zu der Ex- Praktikantin Monica Lewinsky verweigert. Die Demokraten hatten vergeblich versucht, die Freigabe zu verhindern oder zu verzögern.

Das Clinton-Lager fürchtet, die Filmaufnahmen könnten vom politischen Gegner für Wahlkampfspots mißbraucht werden. Mehrere US-Fernsehsender hatten angekündigt, sie wollten das rund vierstündige Video in voller Länge ausstrahlen. Der demokratische Abgeordnete Barney Frank nannte die Freigabe am Freitag eine „rein parteiische Entscheidung“. Die Republikaner verfügen in dem Ausschuß über eine klare Mehrheit und mußten deshalb keine Rücksicht auf die Opposition nehmen. Nach neuesten Meinungsumfragen sind 70 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung gegen die Veröffentlichung des Videobandes.

Der Rechtsausschuß hatte sich zu einer Art TV-Direktion entwickelt. Nach dem Muster der Programmleiter großer Fernsehanstalten berieten Abgeordnete darüber, ob ein Vier-Stunden-Video mit Präsident Bill Clintons Aussagen zur Lewinsky-Affäre ausgestrahlt werden soll. Neu ist nicht nur, daß der Skandal im Fall einer Veröffentlichung suggestive Bilder bekäme. Neu ist ebenso, daß das Material – einmal freigegeben – von mindestens vier amerikanischen Fernsehsendern ausgestrahlt werden sollte.

Neu ist auch der Trend, den Filter journalistischer Gewichtung wegzulassen. Das zeigt sich auch an einem zweiten Skandal: Am Mittwoch wurde bekannt, daß der Vorsitzende des Justizausschusses, der heute 74jährige Henry Hide, in den sechziger Jahren eine Affäre mit einer 29jährigen Frau hatte, deren Ehe in der Folge zerbrach.

Interessant ist weniger die alte Geschichte, sondern vielmehr ihr Weg an die Öffentlichkeit: Angesehene Zeitungen wie die Los Angeles Times und der Boston Globe hatten es vor Wochen abgelehnt, der Information nachzugehen. Am Ende wandte sich der Informant an das Internet- Magazin „Salon“, eine Clinton-freundliche Website, welche in den letzten Monaten durch ihre Angriffe auf den Sonderermittler Starr aufgefallen war.

Die Redaktion begründete ihre Entscheidung damit, daß mit der Veröffentlichung von „Gegenmaterial“ zum Clinton- Skandal „die ganze Absurdität“ einer politischen Enthüllungskultur auf die Spitze getrieben und auf diese Weise bloßgestellt werde. Das Weiße Haus dementierte, „Salon“ die Informationen über Hide zugespielt zu haben.

In der Folge kletterte die Story auf der medialen „Nahrungskette“ empor und fand via Talkshows am Donnerstag den Weg in jene „seriösen“ Medien, die die Publikation in der Vergangenheit abgelehnt hatten. Dieser Klettereffekt in der Medienhierarchie ist neu in einer Branche, in der Gerüchte, Informationen, Quellen und traditionelle Stories sich zunehmend miteinander vermischen.

Eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage ergab, daß der Bedarf an pikanten Details bereits eine Woche nach Veröffentlichung des Starr-Reports gedeckt ist: Eine Mehrheit lehnt eine weitere Publikation von Einzelheiten des Skandals ab. Dies könnte die republikanische Mehrheit in Verlegenheit bringen, die letzte Woche einer großzügigen Freigabe des gesamten Materials von Kenneth Starr zugestimmt hatte: Die Politiker müssen jetzt damit rechnen, daß ihr Vorgehen nicht nur den politischen Gegner trifft, sondern auf sie selbst zurückfällt. Thomas Rüst

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