Klos statt Kultur im Regierungsbezirk

■ Geht es nach der SPD, soll Mitte auf die kulturelle Wedding-Ebene eingedampft werden

Hans Kastelewicz, Bezirksverordneter der SPD-Fraktion Mitte, muß in den Wirren des SPD-Wahlkampfes ein wenig die Orientierung verloren haben. Noch die Sparappelle seiner Finanzsenatorin im Ohr, wollte Kastelewicz mithelfen, den Gürtel des Bezirks ein wenig enger zu schnallen. Deshalb stellte Kastelewicz auf der letzten Bezirksverordnetenversammlung eine große Anfrage: Das Kulturamt Mitte, stellte er fest, habe derzeit 23 Mitarbeiter und einen Jahresetat von 3,2 Millionen Mark, sei also damit finanziell besser ausgestattet als die Kunstämter der künftigen Fusionspartner Wedding und Tiergarten zusammen. Ob das Bezirksamt Mitte gedenke, im Hinblick auf die Fusion die „Ausstattung dieses Amtes in ein gleichgewichtiges Verhältnis mit diesen Ämtern zu bringen?“ Und ob man für diese Mittel „nicht doch lieber eine marode Toilette an der Schule reparieren“ könne?

Leider hatte der Verordnete über seinen vorsorglichen Selbstamputationsplänen nicht mitbekommen, daß der Kanzlerkandidat seiner Partei gerade versucht, das Kulturpersonal ein wenig aufzustocken, indem er seinen Kandidaten für das neuzuschaffende Amt eines Bundeskulturbeauftragten einführte. Und auch der SPD-Kandidat im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg, Wolfgang Thierse, war nicht gerade begeistert, als ihn eine Besucherin seiner Wahlkampfveranstaltung im Prater mit dem Vorstoß seines Genossen konfrontierte. „Die SPD“, mühte sich Thierse etwas langatmig um Schadensbegrenzung, „steht vielleicht sogar als einzige Partei ausdrücklich für Kultur für Schwache, für freie Gruppen, Initiativen, für Experimentelles, für kommunale, dezentrale Kultur, für all das und die, denen man unter die Arme greifen muß, weil es, anders als die Hochkultur, die es auch geben muß, und ohne beides gegeneinander auszuspielen, ohne Unterstützung gar nicht gehen kann.“

Etwas ungeschickt auch das Timing, das Kastelewicz wählte: Er stellte die Anfrage just an dem Tag, an dem die Pressekonferenz für die „3. Werkstatt-Tage der Freien Theater Berlin“ über die Bühne gegangen war. Das zehntägige Event, bei dem sich schon in den beiden vergangenen Jahren die freien Gruppen mit großer Resonanz präsentierten, würde nicht existieren ohne das Kulturamt Mitte als Veranstalter und das kommunale „Theaterprobenhaus Mitte“, das mit seiner Handvoll Mitarbeitern den Gruppen kostenlose Probenmöglichkeiten bietet. Entgangen war der SPD-Fraktion wohl auch, daß seit 1995 die Stellen des Kulturamtes auf die Hälfte reduziert und der Etat ebenfalls um 1,5 Millionen Mark eingeschmolzen worden waren und daß – anders als in anderen Bezirken – auch soziale und soziokulturelle Einrichtungen, zum Beispiel für Kinder oder Senioren, dem Kulturamt unterstehen.

Der bündnisgrüne Bezirksbürgermeister von Tiergarten, Jörn Jensen, den die Mitte-Stadträtin Eva Mendl (PDS) um eine Stellungnahme gebeten hatte, verzichtete dankend auf Kastelewiczs Solidarität: Keinesfalls solle „im vorauseilenden Gehorsam der Personalbestand reduziert und einem fragwürdigen Standard angepaßt werden“. Vielmehr hofft Jensen im Gegenteil, daß so die Defizite von Tiergarten und Wedding ein wenig ausgeglichen werden könnten.

Aus dem Wedding, den Mendl ebenfalls um Stellungnahme gebeten hatte, kam überhaupt kein Kommentar. Vermutlich gibt es dort niemanden mehr, der sich überhaupt noch um die Beantwortung obskurer Anfragen kümmern könnte: Die Kapazität des Kunstamtes Wedding, auf die der Genosse Kastelewicz auch das Kulturamt Mitte gern eindampfen würde, liegt ungefähr bei drei technischen Mitarbeitern sowie einem Kulturarbeiter, dessen Stelle nach seiner Berentung wegrationalisiert werden wird. Ulrike Steglich