■ Ostdeutschland kann den Rechtsextremen nichts entgegensetzen
: Der Westen ist am Zuge

Während der NPD-Kundgebung am Samstag ist es in Rostock nicht zu den befürchteten Ausschreitungen gekommen. Die Stadt kann aufatmen, das Land darf es nicht. Zu gering war die Teilnahme am „Bunt statt Braun“-Friedensfest, auf der die Demokraten der Region Präsenz zeigten. Zu viele Rostocker waren abgetaucht an diesem Wochenende. Ob aus Desinteresse, aus klammheimlicher Sympathie mit den Parolen der Rechtsextremen oder aus Angst vor Repressionen seitens der Neonazis ist unerheblich. Allein das Ergebnis zählt. Statt der erwarteten 20.000 Teilnehmer kamen nur 8.000. Ein aufmunterndes Signal an die Bürger und vor allem an die Jugend Ostdeutschlands, sich der Verteidigung der Demokratie anzuschließen, ist dies nicht.

Die Strategen der NPD dagegen können das Wochenende als Erfolg verbuchen. Und dieser beschränkt sich keineswegs auf die Mobilisierung von 3.000 kurzgeschorenen jungen Männern für dumpf- deutsche Parolen. Wichtiger ist die via Medien transportierte Botschaft in das letzte ostdeutsche Provinznest. Und die lautet: Wir sind viele, niemand kann uns stoppen, die Straße gehört uns. Verstärkt wird die Message durch den Auftrieb von 6.000 hochgerüsteten Polizisten. Auch damit sind die Neonazis ihrem Ziel, den Alltag zu militarisieren, einen Schritt näher.

Rostock ist ein weiterer Beleg, daß der Osten Deutschlands mit der Offensive der Rechtsradikalen nicht aus eigener Kraft fertig wird. Zu schwach entwickelt sind die Institutionen der zivilen Gesellschaft, zuwenig Bürger treten aktiv für eine Verteidigung demokratischer Werte ein, als daß hier sichtbare Erfolge zu erwarten wären. Der Westen kann keine weiteren neun Jahre warten, bis sich möglicherweise im Osten die demokratischen Kräfte entfalten und die völkischen Straßenbanden in ihre Grenzen verweisen. Die Halbherzigkeit der Reaktionen vieler Ostbürger, ihr Verständnis für desperate Heranwachsende, die das Leben für alle andersdenkenden und andersaussehenden Menschen zu einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang machen, kann sich Deutschland nicht leisten.

Ob finanzielle Sanktionen, eine politische Bildungsoffensive, ein Re-Education-Programm oder anderes die geeigneten Mittel sind, darüber muß öffentlich und unnachgiebig gestritten werden. Dabei muß der Westen seine vornehme Zurückhaltung aufgeben und sich, aus purem Eigennutz, stärker in die inneren Angelegenheiten des Ostens einmischen. Eberhard Seidel-Pielen