Rente ist sicher – bis zur Wahl

Die Zukunft der Rente, Teil 1 der neuen taz-Serie: Die Altersversorgung in Deutschland kränkelt, der Streit um ihre Zukunft hat sich zu einem Glaubenskrieg entwickelt  ■ Von Severin Weiland

Berlin (taz) – Wenn es um den Schutz der Altersversorgung geht, ist der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) eisern. Das System habe sich, so lautet das Glaubensbekenntnis des VDR, „bewährt“, allenfalls Korrekturen seien nötig. Doch im Hause selbst hat mancher schon still Abschied genommen: Rund ein Viertel der VDR-Mitarbeiter sind nicht (mehr) in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie sorgen privat vor. Man könne das nicht unterbinden, beteuert der VDR, sonst würden Spitzenkräfte abgeworben werden.

Damit steht der VDR nicht allein. Rund eine halbe Million Besserverdienende – Ärzte, Archiktekten, Anwälte – sind legal aus der gesetzlichen Rente aus- und in berufsständische Versorgungswerke eingestiegen. Bei allen rhetorischen Bemühungen des VDR, das deutsche System zu preisen: Die Altervorsorge hierzulande kränkelt. Jahrzehntelang stand das Umlageverfahren – die jetzige Generation zahlt durch ihre Beiträge die Renten der älteren Bevölkerung – auf sicherem Fundament. Doch zwei Probleme lasten seit geraumer Zeit schwer auf dem System: Die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu und damit der Anteil der Beitragszahler ab. Zudem werden immer weniger Kinder geboren, und die Lebenserwartung nimmt zu. Das Szenario für die Zukunft ist daher düster: Während heute 70 Arbeitnehmer 100 Renter finanzieren, werden in 30 Jahren 100 Arbeitnehmer 110 Rentner stützen müssen.

Wohl kaum ein Thema wurde 1997 derart heftig debattiert wie die Höhe des Beitragssatzes zur Rentenversicherung. Derzeit liegt er bei 20,3 Prozent, jeweils zur Hälfte getragen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Durch die im Frühjahr 1998 in Kraft getretene Mehrwertsteuererhöhung, aus der zusätzlich rund zehn Milliarden Mark in die Rentenkasse flossen, konnten die Beiträge stabilisiert werden und sollen 1999 gar auf 20,2 Prozent sinken.

Rentner sind wichtige Adressaten der Parteien. Schließlich machen sie ein Drittel des Wahlvolks aus. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahl verschob die Koalition daher die eigentlich schon für dieses Jahr vorgesehene Rentenreform auf Anfang 1999. Ihr Kernbestandteil: Der Einbau eines „demographischen Faktors“ in die Rentenberechnung, der die höhere Lebenserwartung berücksichtigt. Das durchschnittliche Nettorente eines Arbeitnehmers – nach 45 Jahren Beitragszahlungen – wird so stufenweise heruntergefahren: von derzeit 70 Prozent auf 64 Prozent bis spätestens 2030. Ohne diese Kürzung, stellte die Rentenkommission der Bundesregierung fest, würde im Jahre 2030 der Beitragssatz auf 28 Prozent hochklettern.

Gegen die von Arbeitsminister Norbert Blüm verordnete Kürzung stemmt sich beharrlich die SPD. Viele Rentenempfänger würden auf das Niveau von Sozialhilfeempfängern gedrückt. Vollmundig hat die SPD daher angekündigt, die Reform nach einem Wahlsieg rückgängig zu machen – zumindest für die kleinen Renten. Anschließend wolle man dann in einem Aufwasch die Altersversorgung wirklich reformieren. Das SPD-Konzept sieht indes keine grundsätzlichen Änderungen vor. Immerhin findet sich darin nun ein Modell, das junge CDU-Abgeordnete im Bundestag (erfolglos) progagieren: Ins bestehende Rentensystem soll ein Kapitalstock eingebaut werden, der ab dem Jahre 2003 aus einem bestimmten Anteil des Rentenbeitrags angespart und verzinst wird. In den demographisch kritischen Jahren 2015 und 2030 – das Mißverhältnis von Rentnern zu Beitragzahlern erreicht seinen Höhepunkt – könnte das Geld dafür eingesetzt werden, die Kasse zu entlasten.

Der Streit um die Zukunft der Rente ähnelt einem Glaubenskrieg. Die Verteidiger des jetzigen Systems setzen auf sinkende Arbeitslosenzahlen. Je mehr Beschäftigte, desto mehr Gelder fließen wieder in der Kasse, lautet ihre schlichte Formel. Andere, wie der sächsische CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, sind da pessimistischer. Die Zeiten der Vollbeschäftigung seien zu Ende. Biedenkopf streitet seit Jahren für die durch Steuern aufgebrachte Mindestrente für alle (rund 1.500 Mark im Monat). Wer mehr verdient, soll sich nach seinem Modell zusätzlich versichern. Etwa durch Kapitalfonds: Nach diesem System sparen die Arbeitnehmer ihre Beiträge an und könnten ihre Altersabsicherung an den Aktienmärkten wachsen lassen. Doch eine derartige Umstellung ist ein schweres Unterfangen. Die Deutsche Bank rechnet mit einem Zeitraum von bis zu 50 Jahren. Unweigerliche wäre damit eine doppelte Belastung der jetzigen Generation verbunden. Zum einen müßte sie noch die heutigen Rentner finanzieren, zum anderen den Anspruch für die eigene kapitalgedeckte Rente von morgen sichern.

Möglicherweise wird nach dem 27. September die Rentendebatte aber weitaus profaner neu entfacht. In Fachkreisen wird eine vollständige Besteuerung der Renten diskutiert. Im Gegenzug sollen Rentenbeiträge steuerfrei bleiben. Dies hätte einen durchschlagenden Effekt: Eine Steuerfreiheit auch für die private Altersvorsorge könnte einen Ansturm auf die Versicherer auslösen.

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