Die Wende im Wald

Von der Bodenreform zum Einigungsvertrag, vom Forstarbeiter zum Waldbesitzer: Wie der Brandenburger Christian Balke aus unverhofftem Eigentum eine Zukunft erwirtschaften will  ■ Aus Luckau Kathi Seefeld

Christian Balke ist zweiunddreißig Jahre alt und ein bedächtiger Mensch. Nie würde er einen zu großen oder zu teuren Traktor kaufen. Der, den er letztens angeschafft hat, ist gerade richtig. Er würde auch nicht einfach die Koffer packen in der Hoffnung, daß das Leben anderswo schöner, die Probleme kleiner oder die Arbeit weniger hart sein könnten.

Christian Balke liebt diesen Wald, seinen Wald, diese Reihen schnöder märkischer Kiefern, den Sandboden unter den Sohlen. Zwischen Spreewald und Niederlausitz ist Balke groß geworden und auffallende 1,90 Meter lang. Hier, in und um Luckau, ackert er, wenn nötig vierzehn Stunden am Tag. Hier wachsen seine Kinder auf, hier will er alt werden.

„Bodenständig“, hätte wohl Großmutter Hedwig gemeint. Von ihr hat Balke seinen Wald geerbt, schmale zwei Hektar. Der Besitz hat ihm die Entscheidung leichter gemacht, seine Arbeit im staatlichen Forst aufzugeben. Er brauchte nicht zu warten, bis man sich von ihm – wie von vielen anderen – verabschiedete. Der Besitz, sagt er, habe seine Initiative herausgefordert. Balke qualifizierte sich zum Forstwirtschaftsmeister. Er gründete ein Unternehmen und beschäftigt inzwischen drei Leute. Dienstleister, Geschäftsführer, Manager – diese Begriffe würden neuerdings auf Balke und seinen „Forstservice“ passen, doch er meint bloß: „Ich kümmere mich um den Privatwald hier und die Leute.“

Am 1. Januar 1991, als Balke Großmutter Hedwigs Erbe sein eigen nennen durfte, stand er zunächst vor einem Problem – wie die meisten der 110.000 Brandenburger, die auf der Basis des deutsch-deutschen Einigungsvertrages wieder Wald besitzen durften: Das rückübertragene Eigentum war klein, oft nur drei Hektar groß, Bodenreformland. Ein Besitz, der begründet wurde, nachdem die sowjetische Militäradministration sämtliche landwirtschaftliche Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone mit mehr als hundert Hektar Fläche sowie alle Betriebe, deren Eigentümer als aktive NSDAP-Vertreter, Kriegsschuldige oder Kriegsverbrecher eingestuft wurden, entschädigungslos enteignet hatte. Verteilt wurde das Land, und dazu zählte auch der Wald, in schmalen Streifen an Landarbeiter, Kleinbauern und Flüchtlinge.

Die Bodenreform hat den Waldbesitz zerstückelt

Recht oder Unrecht? Balke winkt ab. Selbst wenn die Zeitungen voll seien mit mehrseitigen Anzeigen, die die Rücknahme der „kommunistischen Enteignungen“ fordern: „Bis wohin soll man die Geschichte denn zurückdrehen?“ fragt er.

Ihn beschäftigt vielmehr, was die Bodenreform für den Wald als Wirtschaftsgut für Folgen hat: In dieser Hinsicht, meint er, sei sie „von Nachteil“ gewesen, denn der Waldbesitz wurde zerstückelt. Das rettete zwar so manche Familie durch die Nachkriegszeit, doch als es darum ging, den Wald nachhaltig zu nutzen, erwiesen sich die Flächen als zu klein. So schlossen sich Waldbesitzer zu Kooperativen zusammen. Sie beschäftigten Waldarbeiter und Ingenieure, verkauften Holz. „Das muß eine gute Zeit gewesen sein für den Privatwald“, vermutet Balke. Sie dauerte nicht lange. Per Politbürobeschluß wurde Mitte der sechziger Jahre die Bewirtschaftung des Privatwaldes den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und der staatlichen Forstwirtschaft übertragen.

Wer bis zum Untergang der DDR in der Land- und Forstwirtschaft tätig geblieben war, erhielt seinen Wald per Einigungsvertrag zurück. Freudensprünge machten die wenigsten. „Viele saßen wie vierzig Jahre zuvor vor ihren kleinen Flächen“, sagt Balke, „und sie waren vierzig Jahre älter geworden.“ Der Korbmacher Günter Dachs aus dem Dorf Paserin, der die Größe seiner Körbe noch heute danach bemißt, „wieviel Pfund Kartoffeln reingehen“, gehört zu denen, um die Balke „sich kümmert“. Seine Frau hat von ihrem Bruder Bodenreformland geerbt, auch ein Stück Wald. Äcker und Wiesen haben sie verpachtet, der Wald drückt den Mann: „Von den Kindern kann man nicht verlangen, daß sie das machen.“ Sein Sohn fahre nach Berlin zur Arbeit und sei abends vor acht nicht zu Hause. „Ich hätte lieber die 4.000 Mark als Vertriebener genommen“, meint Dachs.

Drei Hektar Wald ernähren keinen Mann und schon gar keine Familie. Drei Hektar Wald kosten: Grundsteuern, gesetzliche Unfallversicherung, Abgaben an den Boden- und Wasserverband, Waldbrandversicherung. Bei größeren Flächen sind die Ausgaben vergleichsweise geringer. „Kein Wunder also“, meint Balke, daß die meisten der seit 1991 entstandenen Zusammenschlüsse privater Waldbesitzer nicht mehr sind als „Kooperativen zur Kostenteilung“. Zirka vierhundert dieser „Forstbetriebsgemeinschaften“ gibt es im Land Brandenburg. Der Zusammenschluß in Luckau und Umgebung, den seit 1997 „der lange Christian“ managt, wie Korbmacher Dachs sagen würde, zählt knapp dreihundert Waldbesitzer und eine Fläche von über 1.200 Hektar. Nicht wenige Mitglieder lassen ihr Eigentum von Balkes „Forstservice“ bewirtschaften. Holzeinschlag, Herausholen der Stämme aus dem Wald, also das „Rücken“, das Vermarkten und Wiederaufforsten inklusive der Fördermittelbeschaffung laufen über Balkes Tisch. Andere Waldbesitzer haben aus alter Gewohnheit die staatliche Forstwirtschaft beauftragt.

Balke stört das nicht. Als ihm ein Oberförster erzählt, der Staatsforst habe derzeit Mühe, Stammholz zu einem guten Preis loszuschlagen, hat Balke gerade 69 Stämme für ein Mitglied der Forstbetriebsgemeinschaft verkauft, „so gut, daß der Mann noch eine vierstellige Summe übrig behält“.

Bislang kommen lediglich zehn Prozent des Holzes, das in Brandenburg geschlagen wird, aus Privatwald, obwohl dieser eine Fläche von 35 Prozent ausmacht. Holz, das in Größenordnungen von 600.000 bis 800.000 Festmetern (=Kubikmeter) jährlich nachwächst, wird wirtschaftlich nicht genutzt, weil die kleinen Eigentümer nicht die Mittel haben, es aus dem Wald zu holen. Ein möglicher Gewinn aus zwanzig bis dreißig Millionen Mark Umsatz geht verloren.

Angesichts solcher Zahlen kommt selbst Christian Balke schon mal die Bedächtigkeit abhanden: Die Zukunft der kleinen Waldeigentümer im Bundesland mit dem drittgrößten Waldbestand in Deutschland könnte auf Holz gebaut sein, sagt er. Doch Großabnehmer in der Region wie „Hornitex“ und „Klenk Arbor“ wollen zuverlässige Liefermengen. Und auch Sägewerke wie das von Inge Lehmann, die den 1971 enteigneten Familienbetrieb nach der Wende mit vier Arbeitskräften, einer abgeschriebenen Anlage aus Niedersachsen und „jeder Menge Enthusiasmus“ weiterführte, können nicht nur von Gelegenheitsangeboten leben.

Drei Regionalverbände haben die Brandenburger Waldbesitzer inzwischen gegründet, um den Holzverkauf bündeln zu können. Balke hält in Luckau die Fäden in der Hand, doch das Gemeinsame wächst langsam. Schließlich fragt sich so mancher Waldbesitzer mit guten, leicht zu verkaufenden Baumbeständen, warum er die in einen Zusammenschluß einbringen sollte. Andere belassen es einstweilen dabei, das seit 1992 wieder an den Bodenbesitz gebundene Jagdrecht in ihrem Wald für Nebeneinkünfte zu nutzen.

Balke hat mit der Jagd in Oma Hedwigs Wäldern nichts am Hut. Er ist froh, daß ihn die „Freizeitjäger“ nicht behelligen. Erst kürzlich habe ihm ein Kollege erzählt, wie bei ihm am Wochenende zwei Studienräte nebst Familien aus Stade vorgefahren seien. „Abends um elf Uhr klingelte der erste, jammerte, daß er ein Wildschwein angeschossen hätte und es nicht finden konnte.“ Zwei Stunden später stand der zweite Schütze vor der Tür. „Jedesmal mußten der Kollege und sein Hund mit raus und nach den verletzten Schweinen suchen.“

Nur große Flächen bringen gute Einnahmen

Bis die kleinen Waldbesitzer es zu einer ernstzunehmenden Wirtschaftskraft bringen, werde wohl noch einige Zeit vergehen, meint Balke. „Niemanden kann man dazu zwingen, sich zusammenzuschließen.“ Der Kauf eines passenden Traktors geschehe ja auch nicht von heute auf morgen. Ein wenig lähmt sie auch die Furcht vor der Übermacht einstiger Alteigentümer, die inzwischen wieder große, zusammenhängende Waldflächen bewirtschaften. Zum Glück, meint Balke, seien nicht alle so wie der „Gurkenkönig Linkenheil“ aus Golßen. Der habe nach der Wende mit den Spreewälder Delikatessen ein Vermögen gemacht und von der Treuhand die „Schwarzen Berge“, achthundert Hektar Wald im Stück, erworben. Die nutze er nun ausschließlich zur Jagd.

Lieber ist den Leuten in Balkes Gegend da ein Mann wie Detlef von Uckro, geboren auf dem Gut Uckro, einen Katzensprung von Luckau entfernt. Der Jurist, der in seinem Bürohaus auch Balkes „Forstservice“ beherbergt, war im Zusammenhang mit dem hessischen Lottoskandal 1994 in Rente geschickt worden. Christian Balke läßt auf von Uckro nichts kommen: Endlich mal ein Alteigentümer mit „wirklichem Interesse an den Waldbesitzern in der Region“.

Einen erfahrenen Anwalt können die kleinen Waldbesitzer vielleicht einmal gebrauchen. Etliche wollen von der Treuhand Waldflächen erwerben, die an ihre Waldstücke angrenzen, um ihren Besitz und ihre Einnahmen zu vergrößern. Es handelt sich um Flächen, die unter der Bodenreform zwar enteignet, aber nicht neu vergeben wurden und damit nach der Wende in den Besitz der Treuhand übergingen. Doch bei der Treuhand wird bar bezahlt. Und solange die Entscheidung über die Gültigkeit der Bodenreform immer mal wieder in Frage gestellt wird, halten die Waldbesitzer in der Forstbetriebsgemeinschaft ihr Geld noch zusammen.

Balke versteht das – auch wenn es für ihn dadurch nur langsam vorangeht. Schließlich würde er selbst nie einen zu teuren oder zu großen Traktor kaufen. Bei aller Liebe nicht.