Irrsinnig: Großstadtindianer trifft Kommunistin

■ Auf einem taz-Event inszenierten sich Theaterstar Schlingensief und die PDS-Fundamentalistin Sahra Wagenknecht. „Chance 2000“ und PDS als Koalitionspartner? Da ist jetzt Gregor Gysi gefordert

„Handy, Telefon, Internet umsonst, Bus und Bahn frei, kein CinemaxX in der Kulturbrauerei“ – Christoph Schlingensief weiß, womit er sein Publikum im Kesselhaus am Prenzlauer Berg packt. Seine Gegenstreiterin Sahra Wagenknecht aber verblaßt mit den üblichen PDS-Parolen: Steuern und Eigentumsfragen neu verhandeln – ja, die Systemfrage stellen.

Ein Antipaar stellte die taz auf einer Podiumsdiskussion am Dienstag abend zur Schau. Motto: „Außenseiter haben eine Chance.“ Der Film- und Theatermacher Schlingensief – zerzaust, jungenhaft in Pulli und Habitus, halb Visionär, halb Spieler – kandidiert für seine Partei „Chance 2000“ in Prenzlauer Berg. Die Kommunistin Wagenknecht, knapp 30, graues Kostüm, hochgesteckte Haare und Lufthansa- Halstuch, will in Dortmund die Arbeiterklasse mobilisieren. Streng blickt sie ins Publikum, demonstriert trotz Schlingensiefs irrsinniger Parolen Kaderschulung.

Sein 100-Tage-Programm als neuer Bundeskanzler: „Vier Punkte: das Leben, das Leben“, und noch zweimal das Leben. Sein Angebot an alle: „Wir wollen was finden.“ Statt Psychotrip bemüht Wagenknecht ein rebellisch-pubertäres „den etablierten Parteien das Leben schwermachen“. Unbescheidenheit ist der PDS nicht vorzuwerfen. „Chance 2000“ und PDS als mögliche Koalitionspartner? Schlingensief lapidar: „Gysi soll sich melden.“ Wagenknecht, die im Bundesvorstand der PDS sitzt, moderiert ab. Ihre Partei sei die einzig wahre Oppositionspartei. Schlingensief kontert: „Die PDS ist das Ruhekissen, auf dem sich die Ostler – die Patienten – ausruhen.“ Im übrigen, Mitlaufen sei kein Zeichen für Autonomie. Der Aktivist ist aus seinen „naiven Massenspektakeln“ klug geworden.

Für Schlingensief, der seine Partei kürzlich dem Bankrott weggekauft hat, ist jetzt Einzelcourage angesagt, worunter auch zu verstehen sei: „Die Bereitschaft, sich von der Frau zu trennen oder Kinder im Wald auszusetzen“: eine Form des „familiären Terrorismus“. In puncto Kapitalismuskritik sind sich beide einig: „Tötet den Dax!“ Doch wo Schlingensief die „Fehlerquoten im Betrieb“ zur Steigerung individueller Autonomie erhöhen will, findet Wagenknecht Streik durchschlagender.

Im Publikum lehnen sich manche zurück. Der Spaßwähler genießt Schlingensiefs Theater, der Protestwähler applaudiert ihm oder der PDS. Viele scheinen aber im falschen Film zu sein: „Was hier diskutiert wird, ist offene Psychiatrie!“ Die taz hat die Bühne bunt gestaltet, die Darsteller haben ihr eigenes Schauspiel demaskiert: Sahra Wagenknecht ihre engstirnige Phrasenpropaganda, Christoph Schlingensief sein Großstadtindianerprogramm. Isabel Fannrich