Sound & Vision
: Ohrabschneider unter uns

■ Von der Hitparade auf die Tonspur (und zurück): Popmontagen als Filmmusik sind ein meist sehr einträglicher Etikettenschwindel

Sean „Puffy“ Combs mag sich freuen. Auch wenn die Einnahmen von Roland Emmerichs „Godzilla“ weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, hat der mäßige Streifen dem amerikanischen Produzenten und Rapper einen weiteren Charts- Erfolg beschert. „Come With Me“, seine von Jimmy Page geadelte „Kashmir“-Parodie, kann sich according to media control auch nach Wochen auf dem dritten Platz der Hitparade halten. Daneben gibt es auf Platz eins Aerosmith mit ihrem „I Don't Want To Miss A Thing“ aus „Armageddon“; „Lola rennt“ auf dem siebten Platz mit Thomas D., Franka Potente und „Wish“; „Ghetto Supastar“ von Pras und seinen Freunden (aus Warren Beattys Politsatire „Bulworth“) beschließt zur Zeit die deutschen Top10.

Alles angeblich Filmmusik. Daß es sich dabei wirklich um portionierte Happen vom jeweiligen Soundtrack handelt, ist indes allenfalls eine Tatsachenbehauptung: Mit Ausnahme von „Wish“ und „Lola rennt“ spielen die Stücke in den jeweiligen Filmen höchstens eine untergeordnete Rolle. Abgesehen von einem Titelsong und einem musikalischen Abspannbegleiter bleibt selten Platz für Popmusik im Kino. Bei einem Großteil der Platten, die die Filmmusikregale der Einzelhändler und die Charts füllen und die als angeblicher Soundtrack über die Tresen geschoben werden, handelt es sich um Popkompilationen. Wozu Filmmusik kaufen, wenn sie kaum Bezug zum Film hat?

Bei den für die Plattenveröffentlichungen zusammengesuchten Popstücken zu „Godzilla“, „Avengers“ oder auch „Lost In Space“ geht es vor allem um eine einträgliche Werbewechselwirkung zwischen Film- und Musik- Industrie, bei der MTV und VIVA die umsatzsteigernde Promotion-Plattform bilden. Die Rechnung ist simpel: Popsongs zu Filmen lassen sich prima mit einem geschnetzelten Ausschnittsalat (Dramatische Szenen! Spezialeffekte! Kinoprominenz!) als Musikvideo an das jugendliche Publikum verkaufen. Und das kauft dann die – in der Regel stilistisch beziehungsweise qualitativ doch arg wechselhaften – Kompilationsplatten und den Film vielleicht gleich noch dazu. Will Smiths Titelsong zu „Men In Black“, Whitney Houstons „I Will Always Love You“ aus „Bodyguard“ oder Celine Dions „Titanic“-Ballade haben gezeigt, wie gut das funktioniert.

Noch deutlicher wird die Marketing-Strategie im kleinen. Beispiel „Dangerous Minds“: Erst die permanente Berieselung mit „Gangsta's Paradise“ hat den Michelle-Pfeiffer-Film wohl zum Kassenschlager gemacht, wovon auch wieder Interpret Coolio profitierte, dessen letztes Album nicht ganz zufällig genauso hieß wie sein großer Hit aus dem Film. Je mehr Popsongs, desto mehr mögliche Radio- und Musik-TV- Einsätze, desto mehr Werbung für Film und Platte. Wenn nur wenig Platz für Pop im Kinofilm ist – „source music“, das heißt in den Filmszenen dudelnde Autoradios oder Discotheken-Atmo lassen sich auch nicht unbegrenzt ins Bild setzen –, veröffentlicht man seit Anfang der Neunziger verstärkt Platten als „Music From And Inspired By The Motion Picture“. Das ist zwar ein wenig unverschämt, führt aber gelegentlich zu interessanten Experimenten: „Judgement Night“, ein unterdurchschnittlicher Thriller, tauchte 1993 in den Musikgeschäften mit Paarungen von HipHop-Acts und Indie-Rock- Musikern auf; und auf „Spawn – The Album“ konnte man Metal in der BigBeat/TripHop/ Drum 'n' Bass-Bearbeitung hören.

Dabei geht es natürlich anders und sehr viel eleganter. Mit Bastelarbeit und dem tiefen Griff in angestaubte Plattenregale haben besonders Tarantino, Scorsese und mit „The Big Lebowski“ auch die Coen-Brüder gezeigt, wie man Pop im Kino einsetzt und wie treffend sich Stimmungen, Szenen und Zeiten mit dem richtigen Song einfangen lassen. Das ist eine Herausforderung für „Music Supervisor“, die das Zusammensuchen von passenden Stücken erledigen. Karyn Rachtman hat diese Art „musikalischer Überwachung“ hervorragend für Tarantinos „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ erledigt, en passant Stealers Wheels fröhliches „Stuck In The Middle With You“ zum Ohrabschneid- Song umgemünzt und Dick Dale zu einem späten Comeback verholfen.

Auch auf dem Soundtrack von „Out Of Sight“ finden sich die von den Tarantino-Soundtracks erfolgserprobten Elemente, die mehr oder weniger obskuren Pop-Antiquitäten und Dialogschnipsel, doch Film und Platte sind musikalisch noch innovativer. Denn neben den sechs Oldies von den Isley Brothers über Walter Wanderley bis Dean Martin („Ain't That A Kick In The Head“) kommt die Filmmusik von dem britischen Techno/ TripHop-Musiker David Holmes. Und der setzt mit „Out Of Sight“ fort, was er auf seinem Album „Let's Get Killed“ angefangen hat: Sein retro-groovender Sound basiert zwar deutlich auf Hayes, Womack, Quincy Jones oder Lalo Schifrin, ist aber nie bloße Kopie; die nicht nur zwischen, sondern auch in den Stücken eingesetzten gesprochenen Zitate – auf „Let's Get Killed“ live von den Straßen New Yorks, hier aus Soderberghs Film – sind nicht nur schmückender Zierrat. So gelingt Holmes ein Soundtrack, der den Film angemessen untermalt, ihn auf Platte und für sich genommen nacherlebbar macht und auch als großartiges Stück populärer Musik funktioniert. Da sind alle Aufgaben der Filmmusik erfüllt. Nur in den Charts wird man so was wohl nicht finden – die gehören Puff Daddy & Co. Thomas Klein