Kinder dürfen nicht verprügelt und erniedrigt werden

■ Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwingt Großbritannien zu einer Gesetzesänderung. Ein 15jähriger hatte wegen körperlicher Züchtigung gegen Stiefvater geklagt

Freiburg (taz) – Das Schlagen von Kindern ist eine „erniedrigende und unmenschliche Behandlung“. Dies stellte gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg klar. Er gab damit der Beschwerde eines heute 15jährigen britischen Jungen statt, den sein Stiefvater mit einem Gartenschlauch verprügelt hatte.

Der vor Gericht als A. bezeichnete Junge war im Alter von neun Jahren mit einem Küchenmesser auf seinen Bruder losgegangen. Zur Strafe verdrosch ihn sein Stiefvater eine Woche lang immer wieder mit dem Gartenschlauch. Die Mutter billigte die Züchtigung, der leibliche Vater jedoch brachte den 9jährigen zum Arzt und zeigte den Stiefvater wegen Körperverletzung an. Ein britisches Geschworenengericht sprach den Mann frei. Es verwies auf die britische Rechtslage, derzufolge „angemessene Züchtigungen“ zulässig sind.

Unter der Obhut seines Vaters zog der Junge daraufhin vor den EGMR. Das Gericht des Europarates wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch die Folter sowie „unmenschliche oder erniedrigende Strafen“ verbietet (Artikel 3). Gestern sprach der deutsche Präsident des Gerichtshofes, Rudolf Bernhardt, das Urteil. Großbritannien muß A. für die nicht geahndete Menschenrechtsverletzung rund 28.000 Mark Schadenersatz bezahlen.

Dabei kritisierte der Gerichtshof nicht nur das Verhalten des Geschworenengerichts, sondern auch die schwammige britische Gesetzeslage, die „keinen adäquaten Schutz“ gegen menschenrechtswidrige Erziehungsstrafen biete. In Großbritannien soll nun das entsprechende Gesetz, der „Children and Young Persons Act“, geändert werden. Dies hatte die Blair-Regierung schon im Straßburger Gerichtsverfahren angekündigt. Ein Verbot des „Smacking“, wie das Schlagen von Kindern in England genannt wird, ist allerdings nicht vorgesehen. In Umfragen hatten 91 Prozent der Briten zugegeben, ihr Kind gelegentlich zu schlagen. Auch Premierminister Blair hatte sich öffentlich hierzu bekannt. Gesundheitsminister Paul Boateng betonte gestern, nur das „Prügeln“ von Kindern werde verboten. Auch die Labour-Regierung respektiere das Recht der Eltern, ihre Kinder auf „liebende und sorgende Weise“ zu schlagen.

In Deutschland heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Erniedrigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Züchtigungen, sind unzulässig.“ Dieses zivilrechtliche Verbot von Körperstrafen gilt erst seit Juli dieses Jahres. (Az.: 100/ 1997/ 884/1096) Christian Rath