Im Wahlkreis 265 zählt jede Stimme

■ Rot-Grün oder Große Koalition? Ein paar hundert, ja ein einziger Wähler könnte darüber entscheiden, wie Deutschland zukünftig regiert wird. Denn wenn die PDS in den Bundestag einzieht, reicht es wohl nicht für SPD und Grüne. Drei Direktmandate entscheiden. Eins davon ist Rostock.

Das Gemeine ist, man sieht es ihnen nicht an – sonst könnte man sie bequatschen, bedrängen, bestechen. Vielleicht schlendern sie über die Einkaufsmeile, vielleicht sitzen sie im Uni-Seminar, sie könnten genausogut in Lichtenhagen am Asia-Imbiß stehen. Man erkennt sie einfach nicht. Vielleicht sind sie 800, vielleicht nur 90, theoretisch reicht auch nur einer. Fest steht nur: Hier in Rostock leben die mächtigsten Wähler. Mit nur einer Stimme Mehrheit könnten die Rostocker für oder gegen den Wechsel in Deutschland entscheiden. Denn hier, im Wahlkreis 265, könnte die PDS ihr drittes Direktmandat für den Wiedereinzug in den Bundestag holen – und das würde wahrscheinlich das die Weichen auf Stopp stellen für rot- grüne Koalitionsverhandlungen.

Ganze 713 Stimmen fehlten dem PDS-Direktkandidaten Wolfgang Methling beim letzten Mal zum Sieg über die SPD-Kontrahentin Christine Lucyga. Auch dieses Mal treten beide wieder gegeneinander an, nur die Rostocker WählerInnen sind nicht mehr das, was sie waren. Die Bevölkerungsstruktur der Stadt hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Die Besserverdienenden sind aufs Land ins eigene Häuschen gezogen, und wer den Plattensiedlungen treu geblieben ist, blieb es nicht unbedingt der alten Partei. Manch roter Stimmzettel könnte am 27. September braun eingefärbt sein und wie die zahlreichen Erstwähler entscheiden, wagt ohnedies niemand zu sagen.

Auch Günther Krause von der CDU mischt noch mit

Die Prognose für das Rennen zwischen PDS und SPD wird nicht leichter durch den Dritten im Bunde, Günther (Sause) Krause (CDU), DDR-Unterhändler des Einigungsvertrages und erster gesamtdeutscher Verkehrsminister. Als Skandalnudel der CDU steuert Krause nun ein Wahlziel an: Günther Krause. Ein Wahlkampf fast ohne und mehr gegen als mit der eigenen Partei – das könnte Krause einige Prozent über den ostdeutschen CDU-Durchschnitt hieven. Damit wäre im Wahlkreis 265 restlos alles offen.

In Rostock zählt jede Stimme? Ein Duell um die Macht stellt man sich irgendwie anders vor – aufgeregter, erbitterter, härter zumindest. Gut, sie waren alle hier – Schröder, Schäuble, Lafontaine, Gysi sowieso und auch der Fischer. Doch in Rostock ticken die sprichwörtlichen Uhren des Ostens offenbar tatsächlich anders.

Man ist fair und nett zueinander, und selbst wenn CDU-Kandidat Krause mitten im Wahlkampf wegen windigen Geschäftsgebarens verurteilt wird, ist das kein Thema. Man redet von Kollege zu Kollegin, bescheinigt sich Kompetenz und Eifer. Der einzige Makel des jeweiligs anderen Kandidaten ist es, halt in der falschen Partei zu sein. „Ich verstehe mich nicht als Feind der SPD“, sagt PDS-Kandidat Wolfgang Methling, und verteilt parteieigene „Wir reiben uns für sie auf“- Radiergummis an Senioren. Wäre das Rostocker Direktmandat für die Partei nicht so überlebenswichtig – der PDS- Mann würde den Platz im Bundestag gar nicht so ungern der SPD- Frau überlassen.

„Der Methling ist ein vernünftiger Kerl, mit dem kann man reden“, spielt unterdessen Krause den PDS-Steigbügelhalter. Von wegen Rote-Hände-Kampagne. Am Wahlabend werden CDU- und PDS-Kandidat sich gegenseitig besuchen. SPD-Kandidatin Lucyga macht derweil „Infostände, Infostände, Infostände“ und überläßt es SPD-Zugpferd Regine Hildebrandt, den Rostockern die Leviten zu lesen. „Jede Stimme für die PDS oder die Rechten verhindert den Wechsel. Haben Sie das verstanden? Das nehmen Sie jetzt mal mit nach Hause.“

Grüne Stimmen könnten Rot-Grün verhindern

Die Rostocker Bündnisgrünen nehmen derweil den Schwarzen Peter nach Hause. Ihr – aussichtsloser – Direktkandidat könnte exakt die Erststimmen bunkern, die fehlen, um eine PDS-Blockade gegen Rot-Grün zu verhindern. Sondierungsgespräche mit der SPD, den eigenen Kandidaten zurückzuziehen, wenn die Sozialdemokraten umgekehrt die Zweitstimme den Grünen abträten, waren schon im letzten Jahr gescheitert. Jetzt, nach dem unmißverständlichen Appell des grünen Bundesvorstands, in den PDS-Hochburgen die Erststimme „intelligent“ einzusetzen, hadern auch die Rostocker Grünen, ob sie nicht dazu aufrufen sollen, den eigenen Direktkandidaten lieber nicht zu wählen. Vera Gaserow, Rostock