Belgien setzt Zwangsabschiebungen vorläufig aus

■ Nach dem gewaltsamen Tod einer nigerianischen Asylbewerberin regt sich Protest. Selbst die Polizeigewerkschaft fordert ihre Mitglieder auf, bei Zwangsabschiebungen nicht mitzuarbeiten

Berlin (taz) – Nein, gleich zurücktreten wollte Belgiens Innenminister Louis Tobback denn doch nicht. Zwar übernahm der Minister „die volle Verantwortung für das, was passiert ist“, aber ein Grund zum Abdanken ist der Tod der 20jährigen nigerianischen Asylbewerberin Semira Adamu für den Minister nicht. Adamu war am Dienstag abend gestorben. Zwei belgische Polizisten hatten ihr ein Kissen auf den Mund gedrückt, um sie am Schreien zu hindern, als sie bereits in einer Passagiermaschine Richtung Togo saß, mit Handschellen an den Sitz gefesselt. Es war bereits der fünfte Versuch, die Nigerianerin abzuschieben – immer hatte sie es geschafft, durch Schreien, Beißen oder Kratzen ihren Abtransport zu verhindern. Jetzt, titelte geschockt die belgische Zeitung Le Soir, darf sie für immer bleiben. Durch das Kissen am Atmen gehindert, fiel Adamu ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Nach Ärzteangaben war das Koma auf eine Hirnblutung zurückzuführen, die vermutlich durch eine Quetschung verursacht worden sei. Gegen die beiden Polizisten wurde bereits am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Zeugenaussagen von anderen Fluggästen sollen die genauen Umstände des Todes von Semira Adamu klären.

In Belgien hat die Nachricht einen öffentlichen Aufschrei und Empörung ausgelöst. Politiker, Prominente und Medien verlangten eine Änderung der Abschiebepraxis, so daß sich die Regierung genötigt sah, gestern alle Abschiebungen bis auf weiteres auszusetzen, wie ein Sprecher des Innenministeriums in Brüssel erklärte. Und die Gewerkschaft der Polizei rief ihre Mitglieder auf, die Mitarbeit bei der zwangsweisen Abschiebung von Asylbewerbern zu verweigern.

Semira Adamu war bekannt. Im März war sie nach Belgien gekommen, hatte um Asyl gebeten, um einer Zwangsverheiratung mit einem 65jährigen Mann in Nigeria zu entgehen. Ihr Antrag wurde abgelehnt, seither saß sie die meiste Zeit in Haft, wußte aber ihre Abschiebung immer wieder zu verhindern. So hatte sie sich zum Symbol der Antiabschiebungsbewegung entwickelt.

Der nigerianische diplomatische Vertreter in Belgien verurteilte den Tod Adamus gestern als „kriminell“. Und der für Afrika zuständige EU-Kommissar João de Deus Pinheiro sagte, Adamus Tod zeige „Probleme im Umgang mit der Immigrationsfrage auf“. Allein in diesem Jahr wurden in Belgien nach offiziellen Angaben 3.863 AusländerInnen abgeschoben. Bernd Pickert