Danke (19)
: Jetzt ich!

■ Wir wissen selbst, was wir wie zu tun haben. Man muß uns nur sagen, wann es losgeht

„Stadtmitte!“ rief der U- Bahnangestellte neulich, als die Bahn auf dem Berliner U-Bahnhof Stadtmitte eingefahren war. Das tut er immer. Als die Leute aber ausgestiegen waren, rief er noch einmal „Stadtmitte!“ und bevor die Bahn abfuhr erneut. Auch statt „Einsteigen!“ und „Zurückbleiben!“ sagte er also „Stadtmitte!“, weshalb die Leute trotzdem einstiegen und zurückblieben. Hätte er geschwiegen, wäre eine Panik ausgebrochen. Da seine Stimme aber im erwarteten Moment erklang, war alles gut.

Was das bedeutet, ist klar: Die Bürger unseres Landes wissen selbst, was sie wie zu tun haben, sie wissen nur nicht, wann es losgeht. Vom Pförtner bis zum Direktor arbeiten in einer Finanzverwaltung deswegen alle Instanzen Tag für Tag an der Erteilung dieses einen Signals: Jetzt zahlen! Und in Bauverwaltungen: Jetzt abreißen! Und im Kanzleramt: Jetzt wählen!

Fraglos ist es also Geldverschwendung, wenn die Opposition ihren Kandidaten überlebensgroß plakatiert sagen läßt: „Deutschland braucht einen neuen Kanzler.“ Jeder, der rechnen kann, denkt: Unsinn, der alte hält doch noch. „Jetzt ich!“ müßte Herr Schröder vielmehr rufen, wenn er es meinte, und das Volk würde nicken: Nun denn. In Sachfragen nämlich kann man uns nichts vormachen. Formale Notwendigkeiten aber sehen wir ein. Und ob wir einen neuen Kanzler nun brauchen – zur Regierungsübernahme ist eine Opposition eben da. Just do it!

„Jeder weiß selbst, wie die ideale Bundesregierung auszusehen hat“, sagt zu diesem Thema auch Christoph Schlingensief von der Kunstpartei Chance 2000. „Aber ein einzelner erreicht nichts“, kontert Sahra Wagenknecht von der PDS. Im Hundert-Tage-Programm von Chance 2000 heißt es denn auch: „Leben, leben, leben, leben!“ In dem der PDS: „Anderen Parteien das Leben schwer machen!“ Daß Chance 2000 eine Partei der Freiheit, die PDS aber eine Partei der Unfreiheit ist, sieht man daran gleich, programmatisch erfolglos aber sind sie beide. Die einen aus ästhetischen, die anderen aus moralischen Gründen, geben sie beide nämlich dasselbe Signal: Jetzt scheitern!

In diesem Augenblick erreicht mich ein Brief von Eckhardt Barthel, dem SPD-Kandidaten meines Wahlkreises. Er möchte mir ein Bild über seine Person zeichnen und mir mitteilen, wie er dazu kam, Politiker zu werden (“Es war ein grundsätzlicher Schritt“). Er sagt „Steuerreform“, „Kaufkraft“ und „Kulturen“ und würde sich freuen, wenn ich ihm meine Anregungen dazu mitteilte. Jetzt du! ruft dieser Brief – Wähle dich selbst! Daß sich Eckhardt Barthel von der SPD so kurz vor der Wahl zur Schlingensief-Partei bekennt, kommt überraschend, ist aber willkommen. Wer aber geht dann für Christoph und mich nach Bonn? Petra Kohse

Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz