■ Bonner Nebensachen aus aller Welt
: Schwulenhatz in Malaysia

„Würden die Deutschen einen Schwulen zum Kanzler wählen?“ fragt Dr. Tan Seng Giew, ein langjähriger Parlamentsabgeordneter der kleinen oppositionellen Democratic Action Partei. Wir sitzen im Foyer des Swiss Garden Hotels, gegenüber einer Klinik, in der der Hautarzt nebenbei jeden Morgen zwei Stunden praktiziert. „Ich fürchte, soweit sind wir noch nicht“, sage ich zögernd, „die meisten Deutschen sind zu konservativ.“ Tan antwortet: „Sehen Sie, bei uns ist das nicht anders.“

Im überwiegend muslimischen Malaysia, wo Homosexualität tabu ist, geschehen erstaunliche Dinge: Der zweite Mann der Regierung, Vizepremier Anwar Ibrahim, verliert plötzlich alle Posten und verschwindet unter dem scharfen „Internen Sicherheitsgesetz“ im Gefängnis. Wichtigster Grund für den Sturz Anwars sind, so Regierungschef Mahathir Mohammad, angeblich schwule Beziehungen. Ein homosexueller Politiker könne ein Land wie Malaysia nicht regieren, da er immer in Versuchung wäre, „seiner sexuellen Gier zu folgen“, erklärte der 73jährige Mahathir sichtlich schaudernd vor Journalisten.

„Unser Premierminister ist von Beruf auch Arzt“, sagt der Mediziner und Oppositionspolitiker Tan, als ich ihn darauf hinweise, daß Anwar bestreitet, schwul zu sein. „Deshalb wird schon was dran sein. Wir Mediziner müssen bei unserer Diagnose ja immer bedenken, daß die Patienten gern lügen.“

Homosexualität ist eine Waffe im malaysischen Machtkampf. „Ich glaube kein Wort, das ist alles eine große Verschwörung“, sagt eine junge Frau im Büro des muslimischen Jugendverbands „Abin“, den der inhaftierte Exvizepremier vor über zwanzig Jahren gründete. „Anwar ist nicht schwul, er ist ein guter Muslim, er hält sich an den Koran.“ Und wenn nicht? „Dann würde er viele Anhänger verlieren“, gesteht sie widerstrebend ein.

Als Nebenwirkung der Kampagne gegen Anwar könnte sich der Druck auf die versteckte, aber bislang relativ unbehelligte Schwulenszene Malaysias verstärken. Zwei Männer, die – möglicherweise unter Drohungen – zugeben haben, mit dem Vizepremier Analverkehr gehabt zu haben, wurden zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Erstmals standen damit erwachsene Männer wegen freiwilliger homosexueller Beziehungen zu anderen erwachsenen Partnern vor Gericht. Bislang wurden Schwule nur strafrechtlich verfolgt, wenn sie mit Minderjährigen oder Abhängigen verkehrten.

„Natürlich gibt es auch in Kuala Lumpur eine versteckte Schwulenszene mit Bars, Diskos und einer Sauna vor der Stadt“, sagt ein Sozialarbeiter. „Aber wir verhalten uns still.“ Vertreter von Schwulenverbänden wie dem „Rosa Dreieck“ geben derzeit lieber keine Interviews. „Solche Probleme haben Sie in Deutschland ja nicht“, beruhigt mich Dr. Tan am Ende unseres Gesprächs. „Wen werden Sie übrigens wählen? Wählen Sie Ihren Kanzler Kohl. Da wissen Sie, was Sie haben.“ Jutta Lietsch